Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

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Minion
Beiträge: 4
Registriert: Fr 11. Aug 2023, 17:21

Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von Minion »

Sehr geehrte Zwangsforenbenutzer,

ich habe einen Waschzwang und Angst vor Kontamination mit Krankheitskeimen.
Meine schlimmsten Befürchtungen sind Übertragungen von Tollwutviren durch Fledermäuse oder Hunden.
Leider hat sich der Zwang die letzten Jahre schleichend und durch Corona nochmals verstärkt.
Ich bin in ambulanter Therapie und beginne gerade mit Fluoxetin.
Ich versuche gerade alleine Konfrontationen nicht mehr aus dem Weg zu gehen was sich als sehr schwierig gestaltet.

Hat jemand eine Waschzwang erfolgreich überwunden, oder gut zurückdrängen können?
Was hat geholfen?
Kommt anstelle des Waschzwangs ein anderer Zwang?
Ich befürchte, dass mein Zwang eine Funktion hat, evtl. eine Depression einzudämmen.

Viele Grüße

Minion
maddin5443
Beiträge: 1
Registriert: Do 10. Aug 2023, 19:14

Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von maddin5443 »

Hallo Minion,

ich habe zur Zeit der Schweinegrippe (lange her) einen extremen Wasch-und Desinfektionszwang gehabt. Zeitgleich bin ich das erste mal Papa geworden. Ich habe damals als Verkaufsberater gejobbt und bin nach jedem Kundenkontakt in der Mitarbeiter Toilette verschwunden um ausgiebig die Hände zu waschen und zu desinfizieren. Es folgten leider andere Zwänge und Ängste. Unter anderem vor Kontamination mit giftigen Chemikalien in Kleidung (bestimmte Klamottenständer in dem Laden wo ich gearbeitet hatte habe ich vermieden usw), giftige Baumaterialien in der Wohnung usw. Was ich damit sagen will: Ja, es ist bzw war bei mir möglich den Waschzwang zu überwinden. Aber das eigentliche Problem war nicht gelöst. Ich bin heute der Meinung, dass mein Unterbewusstsein sich auf brutalste Weise durch die Zwänge und Ängste Gehör verschaffen will. Überforderung und Unsicherheit in der damals neuen Rolle als Vater. Verdrängte Erlebnisse mit dem eigenen Vater. Usw.
Ich weiß nicht ob es dir hilft. Aber ich versuche mich bei solchen Ängsten damit zu beruhigen, daß ich mir zum Beispiel sage "Ja, ich könnte mich mit Tollwut infizieren. Aber genauso könnten sich 10 Millionen anderer Menschen damit infizieren. Es betrifft alle. Nicht nur mich. Du wirst 100 prozentig nicht an Tollwut erkranken. Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung ist in Deutschland gleich Null. Was Krankheitskeime generell angeht: Versuch an dein Immunsystem zu glauben! Ja, es gibt Keime. Überall. Aber du bist stärker als die 🙂
Minion
Beiträge: 4
Registriert: Fr 11. Aug 2023, 17:21

Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von Minion »

Hallo Maddin,

vielen Dank für deine Worte.
Bei mir ist es so, dass ich auch das erste mal Papa geworden bin (von Zwillingen), kurz bevor Corona losging.
Wir haben dann gleichzeitig angefangen ein Haus zu bauen, und ich habe meinen Job verloren kurz bevor die beiden auf die Welt kamen.
Ich glaube auch, dass mein eigentliches Problem Überforderung und andere ungelöste Probleme im Unterbewusstsein sein könnten.
Ich habe eigentlich einen ganz guten neuen Job gefunden aber es herrscht dort oft Zeitmangel und Stress durch zuviel Arbeit und leider oft eine negative Stimmung. (Ist mein subjektiver Eindruck).
Wenn ich darüber nachdenke, hatte ich vor den Zwängen andere Probleme (Depression, Soziale Phobie), die durch die Zwänge besser wurden.

Ich finde deinen letzten Absatz sehr aufbauend.
Hat sich der Waschzwang bei dir irgendwie verlagert und ist wo anders wieder aufgeploppt?
TeeCoffee
Beiträge: 89
Registriert: Di 12. Jul 2022, 01:56

Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von TeeCoffee »

Hi Minion,

ich habe selbst Waschzwänge, habe auch schon sehr relevante Besserungen durch stationäre und ambulante Therapie und Medikamente erreicht. Aber überwunden habe ich sie leider noch nicht, die Symptomatik ist immer noch störend und einschränkend, wenn auch viel weniger als in den schlimmsten Zeiten.
Schau mal auf www.ocdland.com dort gibt es Betroffenenberichte auch von Leuten, die Kontaminationszwönge erfolgreich behandelt haben.
Wenn du Englisch kannst, gibt es auch hier viele seröse Interviews:
https://theocdstories.com/
Noch ein paar Anmerkungen zu Euren Ideen über Unterbewusstsein: So etwas mag es beim einen oder anderen geben - aber ich würde Zwänge eher primär als fehlgeleitetes Alarmsystem und "intolerance of uncertainty" (also mangelnde Toleranz gegenüber unsicheren, grauen, schwammigen Situationen) auffassen, statt da tiefere Konflikte zu vermuten. Vieles ist leider nicht richtig funktionierende Neurobiologie ohne dass da inhaltlich was dahinter steckt. Auch ein wichtiger Hinweis, mit dem ich mehr versuche zu arbeiten "the content of your OCD is irrelavant"...also das genaue Thema ist nicht wirklich wichtig -- dieses sinngemässe Zitat stammt von Dr Reid Wilson, ich möchte noch mehr von seinen Ansätzen lesen. Es geht immer darum Unsicherheit aushalten, daher aendern sich die Inhalte auch im Verlauf von Krankheit oder Therapie oft. Wenn zuvor die Angst war, ob XY ansteckend sein kann, koennte in ein paar Monaten die Sorge um den abgeschalteten Elektroherd stärker werden und die Infektionsängste zuückgehen.
Mir selbst fällt es auch schwer Unsicherheit auszuhalten und mich weniger auf den Inhalt meiner Zwänge einzulassen (Ansteckung, Krankeitsübertragung etc), aber ich will versuchen mehr mit diesem Kontext zu arbeiten und mich vom Inhalt distanzieren, obwohl er so wichtig zu sein scheint --- sagt die Krankheit.
Gruss
ChristianOCD
Beiträge: 35
Registriert: Mo 27. Dez 2021, 17:34

Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von ChristianOCD »

Hi TeeCoffee, wir hatten ja diesbezüglich schon einen Austausch. Ich sehe das genauso. Sowohl aus meiner Jahrzehnte langen Erfahrung mit meinen Zwängen und meinem aktuellen Erfahrungen in der Metakognitiven Therapie, die ich mache. Es sind nicht die Inhalte, sondern der zugrunde liegende Umgang mit unseren Gedanken.
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André
Beiträge: 29
Registriert: Fr 15. Mai 2020, 21:21
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Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von André »

Hallo Minion,

aufgrund dessen, dass jeder ein Individuum ist und damit auch deren psychische Erkrankung nie identisch ist, ist es im eigentlichen Sinne schlecht, Ratschläge zu geben, was ein eventuell geholfen hat, exakt zu benennen, weil was mir guttat kann anderen sogar schaden.

Ich konnte mich einmal komplett vom Waschzwang befreien, nach seinem wieder Auftauchen hat unsereins es einige Male geschafft, damit gut zurechtzukommen zumindest hat sich dieser Zwang nicht nochmals eng verflochten mit einem mystischen Wiederholungszwang, was mir meine Hände danken.

Bevor ich in die Jugendpsychiatrie eingewiesen wurde, hat sich mein Waschzwang schon verändert, weil vorab war er eine Unterstützung, um mich nicht mehr dreckig zu fühlen, weil ich wie ein Aussätziger behandelt wurde. Ich empfand mich dadurch bedingt ansteckend sowie verunreinigt und wollte hierdurch ebenfalls andere schützen. Nachdem man aber durch das lange Zuhause bleiben langsam wusste, dass man persönlich in der alten Schulklasse nimmermehr untergebracht wird, änderte sich der Zwang in der Hinsicht, dass keineswegs ich kontaminiert bin, sondern alle anderen bedeutet zwar im Endeffekt das Gleiche, aber der Gedanke hat sich in einer anderen Richtung verschoben, seitdem ist derselbe Drang zur Last geworden.

Am Anfang hat mir eine Patientin geholfen, weil in den ersten Monaten konnte mir kein Therapeut beistehen, weil ich in dieser Zeit versucht habe, Sprache allgemein zu tilgen und gewiss auch in meiner Gedankenwelt. Unsereiner wollte nur noch mit Zahlen kommunizieren, weil man mir diese nicht genommen hat. Diese Mitpatientin saß sich stets neben mir beim abendlichen Treffpunkt im Jugendklubhaus auf dem Gelände der Jugendpsychiatrie und sprach mich dort an, indem sie sagte, ich gebe dir meine stille Hand und allein wenn du sie dir ergreifst, fangen wir an, miteinander zu unterhalten. Sie setzte sich mehrere Tage, Wochen und Monate bei mir hin und blieb, sie grüßte mich immerwährend und verabschiedete sich, wenn es zu Bett ging. Irgendwann bemerkte ich, dass sie mir wirklich helfen möchte und ihre Höflichkeit ist ehrbar und nimmer hinterhältig wie bei all den anderen zuvor. So schenkte sie mir die Lautbildung zurück, somit war sie der erste Baustein für eine Gesundung. Ich bin sehr froh darüber, dass ich ihr später helfen konnte und wir uns gegenseitig Geborgenheit gewährten.

Danach kam die Englischlehrerin auf mich zu, die bei mir einen positiven Schock auslöste, als sie zu mir sagte, womit haben deine Hände und du es verdient, dass du ständig blutest und deine offenen Wunden wäscht, diese Schmerzen bringen dir höchsten Pilze und Bakterien ein, die sich in deine inneren Blutbahnen wohlfühlen und vermehren können, und schließlich wirst du sterben oder zumindest werden dir deine Hände abgenommen wegen einer Blutvergiftung usw., damit heilte sie mich zwar nicht auf einen Schlag vom Wiederholungszwang, aber fast.

Der Waschzwang ließ sich therapeutisch behandeln mit Konfrontationsübungen. Im Besonderen halfen mir überwiegend Gespräche mit den Therapeuten sowie mit meinen Mitpatienten, gerade sie zeigten mir auf, dass es auch sympathische Menschen geben kann außerhalb meiner Familie, was mir eine große Hilfe war, um am Leben zu bleiben.

Hiernach hatte ich eine gute Zeit gehabt ohne Zwang, aber nach sechs Jahren während der Berufsausbildung ist zum einen mein Vater gestorben und zum anderen erfuhr ich Mobbing aufgrund, dass ich mich zu blendend mit dem Chef sowie mit den Automechanikern verstanden habe, das mochten die Kollegen im Büro keinesfalls und wollten mich hierdurch loswerden. Seitdem ist der Waschzwang wieder aufgetreten und ab diesem Zeitpunkt war es immerdar, dass nach einer Behandlung und die damit verbundene Verbesserung eine neue Krankheit entstanden ist, wie z. B. Zwangsgedanken, Zählzwang, Depression, "Zwangshungern" (Es war keine Magersucht, allein der Zwang verschuldete es.) davon bin ich aber geheilt, Zwangsdepression, die fürchterlichste Kombi, unter der ich bis heute leide. Wenn ich zu viel positive Gefühle am Tag habe, muss man sich selbst dafür bestrafen, indem unsereins einen weidlich traurigen Traum wie einen Schwarz-Weiß-Film erträumt (meistens über Verfolgung und Tod der eigenen Familie und man persönlich stirbt als letztes), danach bin ich nur ein hundeelendes Etwas.

So gesehen kann ich die Furcht verstehen, dass sich nach einer Behandlung eine andere Erkrankung entwickeln kann. Aber für mich gilt weiter daran am Ball zu bleiben, gegen die Zwangserkrankung etwas zu tun.
Minion
Beiträge: 4
Registriert: Fr 11. Aug 2023, 17:21

Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von Minion »

Hallo TeaCoffee,

danke für die Links.

Ich denke eine Verringerung der Zwänge ist schon ein sehr gutes Ziel bzw. guter Erfolg.

"aber ich würde Zwänge eher primär als fehlgeleitetes Alarmsystem und "intolerance of uncertainty" (also mangelnde Toleranz gegenüber unsicheren, grauen, schwammigen Situationen) auffassen, statt da tiefere Konflikte zu vermuten. Vieles ist leider nicht richtig funktionierende Neurobiologie ohne dass da inhaltlich was dahinter steckt."

Ich denke manchmal darüber nach, ob es von einem verdrängten Trauma aus der Kindheit kommen könnte. Ich habe manchmal sehr düstere Gedanken darüber. Eine konkrete Erinnerung habe ich aber nicht. Irgendwie wäre es glaube ich eine Erleichterung für mich, eine konkrete Ursache herauszufinden.
Leider drehe ich mich da immer im Kreis.

Beim mir war die erste Zwangsepisode, als ich auf die weiterführende Schule kam und ich überfordert war. Ich glaube, das ist auch heute meine Hauptursache, und zwar dass andere Menschen und ich selbst hohe Erwartungen an mich stellen. Bei nüchterner Betrachtung, sind das aber wahrscheinlich normale Erwartungen mit denen jeder im Leben konfrontiert wird.

Ich finde es irgendwie verrückt, dass mein Bruder das genaue Gegenteil von mir ist.
Er ist optimistisch, risikobereit hat wenig Ängste und ist darum sehr erfolgreich.

"Wenn zuvor die Angst war, ob XY ansteckend sein kann, koennte in ein paar Monaten die Sorge um den abgeschalteten Elektroherd stärker werden und die Infektionsängste zuückgehen."

Das ist etwas, was ich auch für möglich halte.
Dass sich die Zwänge einfach andere Wage suchen könnten.
Minion
Beiträge: 4
Registriert: Fr 11. Aug 2023, 17:21

Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von Minion »

Hallo Andre,

Danke für deine lange und interessante Nachricht.

"Der Waschzwang ließ sich therapeutisch behandeln mit Konfrontationsübungen. Im Besonderen halfen mir überwiegend Gespräche mit den Therapeuten sowie mit meinen Mitpatienten,"
...
"Hiernach hatte ich eine gute Zeit gehabt ohne Zwang,"

Das sind wahrlich großartige Worte für mich.
Es tut mir leid, dass schlimme Schicksalsschläge deine Zwänge in anderer Form wieder zum Leben erweckten.

Würdest du sagen, dass die Waschzwänge bei dir im Vergleich mit den darauffolgenden Krankheiten
eher das kleinere Übel war?
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André
Beiträge: 29
Registriert: Fr 15. Mai 2020, 21:21
Wohnort: Elmshorn

Re: Waschzwang hat ihn jemand überwunden?

Beitrag von André »

Hallo Minion,

zum einen ist der Waschzwang leider auch zurückgekommen, aber weil ich keinen Drang spüre, eine Wiederholung zu absolvieren, kann man heutzutage persönlich damit einigermaßen gut leben und zum anderen empfindet unsereiner, dass die jetzigen Leiden auf jeden Fall psychisch erheblich grauslicher sind dafür war es damals körperlich mit vielmehr Qualen verbunden.
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