Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Antworten
die_Angehörige
Beiträge: 7
Registriert: Di 13. Feb 2024, 18:31

Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Beitrag von die_Angehörige »

Hallo!

Mein Partner leidet seit ca. 6 Jahren an einer Zwangsstörung mit Kontrollzwang und Zwangsgedanken. Vor 4,5 Jahren hat er mal eine Therapie gestartet, die ca. 1-2 Jahre gedauert hat, dann kam Covid und er brach die Therapie ab (u.A. weil es ihm auch nicht wirklich besser ging nach so einer langen Zeit). Dieses Jahr wollte er das Thema Therapie wieder neu angehen, da wir gerne in näherer Zukunft eine Familie gründen wollen und er quasi seine Probleme vorher lösen möchte um ein guter, stabiler Vater zu sein. Damals hat er Zwangshandlungen entwickelt, welche auf Strom/Wasser/etc. in der Wohnung bezogen waren, wenn er länger wegfährt. Die sind mit der Zeit aber deutlich besser geworden aber dafür hat sich sein Problem hin zum Autofahren verlagert. Er fährt nicht mehr und umgeht somit auch seine Zwangsgedanken (habe ich einen Unfall verursacht?) und Zwangshandlungen diesbezüglich. Mein Partner funktioniert eigentlich relativ gut im Alltag aber hat trotzdem einen ziemlich hohen Leidensdruck. Was ihn am meisten beeinträchtigt sind die Zwangsgedanken, die dazu führen dass sein Gehirn permanent überlastet ist. Ihm kommen immer wieder Gedanken im Sinne von "was wenn X, das vor Y Jahren passiert ist Z auslösen kann?". Er ist (wahrscheinlich deshalb) sehr sorgfältig und übervorsichtig bei vielen Dingen im Alltag.

Tja, die erste Hürde auf die wir gestoßen sind war erstmal überhaupt einen Therapieplatz zu finden. Nach ein paar Monaten haben wir aufgegeben und die Terminvergabestelle kontaktiert, wo er dann auch relativ zügig ein Erstgespräch vermittelt bekam. Was dabei herauskam hat uns beide ziemlich überrascht: ihm wurde eine stationäre Therapie nahegelegt und wahrscheinlich werden auch Psychopharmaka zum Einsatz kommen. Eine 2. Meinung bestätigte nochmals, dass der stationäre Aufenthalt am besten wäre. Unser nächster Schritt ist jetzt einen Psychiater zu finden, welcher uns einen Bericht über seinen aktuellen Zustand sowie eine Einweisung schreibt.

Ist es egoistisch von mir, wenn ich möchte, dass er die (stationäre) Therapie ohne Medikamente versucht? Ich weiß, dass manche Patienten Psychopharmaka brauchen um sich überhaupt auf die Expo einlassen zu können oder um die Gedanken etwas zu "beruhigen", aber ich habe so große Angst davor, dass wir deswegen keine Kinder mehr bekommen werden. Ich bin 34, wir können uns nicht mehr so viel Zeit lassen. Bis wir überhaupt mal einen Termin beim Psychiater bekommen dauert es einen Monat, die Kliniken haben 10 Monate Wartezeit und soweit ich es verstanden habe wird bei Zwangserkrankungen im vgl. zu Depressionen eine viel höhere Dosis (bis hin zum Dosismaxium) über einen deutlich längeren Zeitraum verwendet. Die Nebenwirkungen von SSRIs etc. bgzl. Sexualität sind ja bekannt (Libidoverlust, Erektionsstörungen, ausbleibende Ejakulation usw usw) und können im schlimmsten Fall zwar selten aber immerhin dauerhaft auch nach dem Absetzen bestehen.

Und auch wenn ich weiß, dass mein Partner dringen Hilfe braucht sind meine Gedanken bestimmt von "das mit den Kindern wird nichts". Ich frage mich ob es auch ohne Medikamente gehen kann und ob die Kliniken die Patienten zur Einnahme drängen oder auch akzeptieren, wenn man das nicht möchte? Ich weiß ich bin egoistisch mit meinen Gedanken, aber der Kinderwunsch ist nun mal vorhanden und ich hab unglaubliche Angst, dass seine Zwangserkrankung dafür sorgen wird, dass wir für immer kinderlos bleiben. Andererseits möchte ich natürlich dass es ihm besser geht, es tut weh ihn so zu sehen mit all seinen (für mich natürlich unbegründeten) Gedanken und Ängsten, ich weiß er kann nichts dafür.

Vielen Dank fürs Lesen!
Chris_84
Beiträge: 42
Registriert: So 7. Jan 2024, 19:36

Re: Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Beitrag von Chris_84 »

Hallo !

Gegenfrage: was denn sonst ? Was wenn Therapie nur mit Medikamenten gelingt ? Dann soll er sie nicht nehmen, nur weil DU Angst um deine Wünsche hast ??? Echt jetzt ?

Aber:
Vielleicht hast du dir dafür schlicht den falschen Partner ausgesucht. Es ehrt ihn und es spricht für ihn und seine Vernunft, dass er seine Probleme lösen möchte, bevor ihr Kinder bekommt. Das ist sehr verantwortungsvoll (dem möglichen Kind gegenüber). Denn im anderen FAll bräuchte euer Kind eine gute Krankenversicherung. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sonst früher oder später auch eine Psychotherapie bräuchte wäre hoch...
Ich finde wie gesagt die Haltung deines Partner sehr begrüssenswert. Wenngleich auch unrealistisch. Eine Zwangserkrankung ist kein Schnupfen. Und sie ist oft auch nur die Spitze des Eisberges. Die Chancen auf schnelle Heilung stehen schlecht. Sehr schlecht. 2 Jahre ambulante Therapie haben ihm kaum etwas gebracht. Und jetzt wollt ihr das Problem mal schnell lösen, bevor ihr Kinder bekommt ? Das ist unrealistisch. Ich würde es ihm ja wünschen - aber ich fürchte, er hat da einen ziemlich langen Weg vor sich. Und viel mehr an psychologischer Arbeit zu erleidigen, als euch bisher bewusst ist... Und nicht alle Aspekte davon sind heilbar. Mitunter geht es auch schlicht um Schadensbegrenzung. Zudem hält Therapie meist nicht, was sie verspricht und was man sich von ihr erhofft. Psychologie ist nur eine Pseudo-Wissenschaft. Und die Arbeit von Therapeuten gleicht nicht selten erher dem Stochern im Nebel... Negative Auswirkungen auf die Entwicklung eures Kindes wären daher viel wahrscheinlicher als dass sie auszuschliessen wären.

Mir ist auch bewusst, dass es viele hier nicht mögen werden, wenn ich solche Videos wie das folgende verlinke... Aber ich lege dir wirklich nahe, es dir einmal anzusehen:

https://www.youtube.com/watch?v=Qy324bkP4Bw

Liebe Grüsse
die_Angehörige
Beiträge: 7
Registriert: Di 13. Feb 2024, 18:31

Re: Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Beitrag von die_Angehörige »

Natürlich ist uns klar, dass es unter Umständen keine Alternative geben wird und wir das dann auch akzeptieren müssen. Dass der Weg beschwerlich sein wird und er vielleicht nie komplett geheilt werden kann ist uns ebenfalls klar, aber wir möchten unser ganzes Leben auch nicht nur nach seiner Krankheit ausrichten.

Die Familie möchte ich mit meinem Partner gründen, weil er ein wundervoller Mensch ist und wie du bereits angemerkt hast eine verantwortungsvolle Einstellung hat, die ich sehr unterstütze. Deshalb empfinde ich etwas befremdlich zu behaupten ich hätte den falschen Partner ausgesucht (zumal er als wir uns vor vielen Jahren kennengelernt haben keine Zwänge hatte und es nur ein Aspekt seiner Persönlichkeit ist). Ich empfinde es als legitim als Angehöriger auch Wünsche, Ängste und Bedürfnisse zu haben und diese auch äußern zu dürfen. Wir sind schließlich ebenfalls zumindest teilweise von der Erkrankung betroffen.

Lg
Chris_84
Beiträge: 42
Registriert: So 7. Jan 2024, 19:36

Re: Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Beitrag von Chris_84 »

Du wolltest wissen, ob es egoistisch sei. Ich habe dir geantwortet. Das ist alles.

Ob dein Partner der Falsche ist oder nicht musst du entscheiden. Es ist dein Leben. Und nur du bist es, die mit den Folgen deines Tuns zurechtkommen muss. Von einem möglichen Kind mal abgesehen...

Es ist allerdings eine Illusion zu glauben: "Mensch gesund" - dann "Krank" (Zwang) - dann Therapie - dann wieder "gesund". Die Aspekte, welche einen Zwang erst ermöglichen, waren in deinem Partner schon vorher angelegt. Auch wenn du das vielleicht nicht erkennen konntest (oder wolltest). Und manches davon wird bleiben. Er wird kein komplett anderer Mensch werden.
Es ist verständlich, dass man sein Leben nicht völlig von einer Krankheit bestimmen lassen möchte - die Frage für mich ist in diesem Fall jedoch eher: in wie weit wird der Zwang euch dies erlauben ?

Natürlich bist du als Partnerin auch vom Zwang deines Freundes betroffen. Aber im Gegensatz zu ihm entscheidest du dich jeden Tag aufs Neue dafür...
downtherabbithole
Beiträge: 205
Registriert: Sa 7. Nov 2020, 21:10

Re: Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Beitrag von downtherabbithole »

Hallo,

was sagt denn dein Partner dazu? Möchte er Medikamente nehmen?
Und dann noch was, ihr scheint doch beide einen Kinderwunsch zu haben, ich denke wenn man zusammenhält sollte es für euer "Problem" eine Lösung geben. Aber vielleicht brauchen dazu beide eine flexible Einstellung.
Am Ende kann der Kinderwunsch auch daran scheitern, dass es gar keine Probleme wegen Medikamenten gibt sondern aus anderen Gründen. Ist also vielleicht auch die Frage, was macht jetzt am meisten Sinn? Zumal er ja sowieso erst noch etwas an sich arbeiten möchte? Das mal als Gedankenanregung, vielleicht könnt ihr einfach gemeinsam darüber sprechen und Lösungen finden.
Ansonsten verstehe ich deine Sorge, dass durch die Medikamente der Kinderwunsch erschwert werden könnte, und sie ist soweit ich weiß berechtigt, trotzdem würde ich das auch noch mal mit Ärzten abklären. Ihr könntet sicher auch mit dem Psychiater reden, wenn ein Kinderwunsch ansteht. Nur weil man jetzt Medikamente nimmt heißt das außerdem nicht, dass man die jahrelang nehmen muss. Bekommt man zu den Zwängen noch Depressionen kann man übrigens ähnliche Nebenwirkungen wie bei den Medikamenten bekommen, das sollte man auch bedenken. ;)
Ansonsten, noch ein Gedankenanstoß, aber das muss natürlich jeder für sich selbst wissen, in der Psychologie geht man davon aus, dass man am zufriedensten im Leben wird, wenn man eine flexible Einstellung hat was die Lebensplanung angeht, ist also vielleicht auch die Frage, ob andere Lebensentwürfe für euch in Frage kämen, bei denen ihr keinen Zeitdruck habt.

In der Klinik in Bad Bramstedt wurde als ich vor einem Jahr dort war übrigens eher zaghaft mit Medikamenten umgegangen, Klinik bedeutet also auch nicht immer automatisch Medikamente. Ich musste keine nehmen, nicht weil ich nicht wollte, sondern weil die das so entschieden haben und mir wird sonst immer von Psychiatern und Therapeuten direkt empfohlen Medikamente zu nehmen.
die_Angehörige
Beiträge: 7
Registriert: Di 13. Feb 2024, 18:31

Re: Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Beitrag von die_Angehörige »

Hallo!

Mein Partner würde es ebenfalls bevorzugen es vorerst mal ohne Medikamente zu versuchen, da er selber auch Ängste diesbezüglich hat, wenn auch nicht so viele wie ich jetzt (rein bezogen auf den Kinderwunsch). Weil eins sollte klar sein, auch wenn es vielleicht nicht so rüberkommt: wenn er die Medikamente nehmen möchte würde ich ihm das natürlich nie ausreden und ihn auf irgendeine Weise daran hindern, am Ende ist es seine Entscheidung da nur er weiß wie groß sein Leidensdruck ist. Was für ihn persönlich dagegen spricht ist, dass die Symptomreduktion alleine durch Medikamente ja nicht sehr stark ist (20-40% anhand der bisher zurate gezogenen Quellen) und die Rückfallrate nicht zu vernachlässigen ist, sprich: wenn es eh nur relativ wenig hilft und dann eigentlich auch nur während der Einnahme, dann ist es ihm die möglichen Nebenwirkungen nicht wert und er würde es zumindest mal nur mit Therapie (gerne im stationären Setting) versuchen.

Dass der Kinderwunsch auch an anderen Dingen scheitern kann ist uns natürlich völlig klar, aber da wir uns hier ja in einem Forum für Zwänge befinden ist es natürlich dieser Aspekt den wir hier besprechen wollen. Wir hatten heute auch unseren ersten Termin mit einem Facharzt und da wurde uns jetzt Quetiapin vorgeschlagen. Das hilft zwar nicht wirklich gegen Zwänge, könnte aber Symptome wie Schlaflosigkeit und Grübeln/Ängste etwas abmildern und hätte keinen negativen Einfluss auf unseren Kinderwunsch. Vielleicht wäre das ein guter Kompromiss... mal sehen. In 2 Wochen haben wir einen Termin mit einem Spezialisten in einer Klinik, mal schauen was der sagt (2. Meinung und so).
Liebe Grüße,
die Angehörige
TeeCoffee
Beiträge: 89
Registriert: Di 12. Jul 2022, 01:56

Re: Ist es egoistisch von mir nicht zu wollen, dass mein Partner Psychopharmaka nimmt?

Beitrag von TeeCoffee »

Hi,

meine rein persönliche Meinung ohne, dass ich alles im Detail gelesen habe:
1) Ich finde wenn der Partner selbst es lieber ohne Psychopharmaka versuchen will und er sich Expositionen so zutraut, sollte nichts dagegen sprechen, insbesondere, wenn er nicht zusätzlich stark depressiv ist. Meiner Erfahrung nach sind stark verhaltenstherapeutisch/psychotherapeutisch orientierte Kliniken oft selbst gar nicht total scharf auf SSRIs und respektieren aber immer den Wunsch des Patienten, insbesondere wenn er in die Expos wirklich hineingehen kann. Es kann halt dauern, dass es länger, hartnäckiger wird und mann vielleicht Zeit verliert, wenn es nicht ohne SSRI klappt, aber es kann auch gut sein, dass der Partner ohne es auskommt.
2) Ich weiss ja nicht, was Dein Partner sonst so für Symptome hat, aber es klingt so als ob euch Quetiapin als erstes Mittel empfohlen wird ?? Also Neuroleptika allein und vor dem Versuch mit entsprechend dosierten SSRIs ist nicht Leitliniengerecht und nicht das Mittel der ersten Wahl beim ersten Medikationsversuch. Auch hätte ich persönlich mehr Angst vor Neuroleptika als vor SSRIs (ich kenne mich nicht mit Neuroleptika Dosierung aus, aber bei entsprechender Dosis und Länge der Behandlung können u.a. Bewegungsstörungen oder diabetische/metabolische Störungen auftreten, mal von Müdigkeit etc ganz abgesehen). Ich würde definitiv fragen, wie viele Zwangspatienten der Psychiater schon behandelt hat und wieso er findet man solle von der Leitlinie abweichen.
3) Klinik: es geht nicht um "stationär" an sich --- man kann da in einer total allgemeinen Feld-,Wald-, und Wiesenklinik landen....fragt bei der DGZ undebedingt nacht spezialisierten Kliniken, die häufig Zwangspatienten behandeln. Ich weiss, man nöchte meinen, der "Facharzt" weiss das schon, aber gerade bei Zwangsstörungen kann man an Leute geraten, die Null Ahnung haben.
Alles Gute!
Antworten