Unvollständigkeitsgefühl

Silvia
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Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Silvia »

Hallo Alle Zusammen,

ein Mitglied hier aus dem Forum hat mich auf etwas hingewiesen, was vielleicht für andere Zwängler auch interessant sein könnte.
Ich habe es zwar noch nicht mit meiner Therapeutin besprochen, aber ich würde sagen, es trifft bei mir schon auch zu.

Ich hoffe, die Seite hier zu verlinken ist in Ordnung.

https://books.google.de/books?id=r9UL_o ... ng&f=false

Liebe Grüße, Silvia
Nichts kann existieren ohne Ordnung,
nichts entstehen ohne Chaos.
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Yorge
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Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Yorge »

Interessant, auch im Hinblick auf die Frage, was uns außer den bestimmten Ängsten noch so antreibt. Es erinnert mich an etwas was ich in Uwe Böschemeyers Buch "Weil ich es dir nicht sagen konnte" gelesen habe:
"Denn darum geht es im Grunde, dass er die Tatsache der Unvollkommenheit des Lebens, auch seines eigenen, nicht akzeptieren kann und darf. … Ambivalent ist das Leben draußen in der Welt und drinnen im eigenen Herzen. Doch diese Tatsache darf der zwangsneurotische Mensch nicht gelten lassen. Dagegen läuft er Sturm. Er muss vollkommen sein. Sein "Ausweg": Er verwirklicht das Vollkommene in einem Ausschnitt der Wirklichkeit - in den Ritualen."
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
Miranda_L

Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Miranda_L »

Hi,

wenn ich es richtig verstanden habe, hat das Unvolständigkeitsgefühl damit zu tun, dass das Gehirn nicht (oder nur schwer )in den Status "Aufgabe fertig" gehen kann.
Das Belohnungssystem springt nicht an, wenn Aufgaben bewältigt wurden.
Beispielsweise Händewaschen.
Man ist fertig, stellt das Wasser ab und das Gehirn sagt: "Irgendwas war nicht richtig. Nicht gründlich genug. Da könnte noch Schmutz sein."
Also fängt man wieder von vorne an.
Das ist in Kombination mit Kontaminationsgedanken ziemlich übel. Weil man nie zu dem Status "Kontamination entfernt" übergehen kann.

Man muss die Aktion dann irgendwann abbrechen, obwohl man nicht das Gefühl hat, es richtig und fertig gemacht zu haben.

Das kann sich dann natürlich mit allen anderen Arten von Zwangsängsten und Zwangshandlungen kombinieren.

-Ritual nicht fertig ausgeführt.
-Nicht sicher, ob man gründlich genug kontrolliert hat
- ...
...

Ich vermute, dass das Problem viele von uns haben.
Ich habe es.
Ich habe es sogar in dem Maße, dass das Ausführen des Zwangs mir nie, auch nicht kurzfristig, ein Gefühl der Beruhigung verschafft.
Silvia
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Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Silvia »

Hallo Miranda,

wie gehst Du mit diesem Gefühl um?
Wie kannst Du es mit Deinen Zwängen im Alltag vereinbaren?

Ich habe dieses Gefühl auch, etwas zu tun, zu kontrollieren, und nochmals und nochmals und nochmals....
so lange bis ich mir oft selbst sagen muss, Schluss jetzt, es ist doch alles in Ordnung, hör auf damit, sonst stehe ich in einer Stunde immer noch da und es hat sich trotzdem nichts geändert.

Dieses Gefühl von nicht fertig sein, Dinge vielleicht nicht richtig erledigt zu haben....
habe ich schon so lange ich denken kann.

Liebe Grüße,
Silvia
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Miranda_L

Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Miranda_L »

Ich habe das noch nicht so lange.
Es gab zwar früher sich Situationen, in denen es so war, aber das war sehr selten.
Vielleicht habe ich auch unbewusst als Kind den Zählzwang entwickelt, um die Aktion beenden zu können.

Was ich jetzt tue?
Irgendwann die Aktion abbrechen und versuchen das Gefühl und die Angst auszuhalten.
Glücklicherweise baut der Körper Angst nach einer Weile automatisch ab.
Das weiß ich, und darauf warte ich dann.
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OCD-Marie
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Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von OCD-Marie »

Miranda_L hat geschrieben: Mo 5. Nov 2018, 15:19 Glücklicherweise baut der Körper Angst nach einer Weile automatisch ab.
Das weiß ich, und darauf warte ich dann.
...und wenn du in diesen Situationen mit Atem-/Achtsamkeitsübungen sowie kognitiven (Imaginations-)Techniken arbeitest, dann

kannst du zum einen aktiv etwas tun und musst nicht einfach warten und
die körperliche Anspannung sowie die Emotionen verändern sich damit meist (einiges) schneller als bei reinem Warten und aushalten.

Das ist kein Ablenken, was man bei Expositionen ja gerade nicht machen soll, sondern aktive und achtsame Emotions-Regulation.
Miranda_L

Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Miranda_L »

OCD-Marie hat geschrieben: Mo 5. Nov 2018, 15:30 ...und wenn du in diesen Situationen mit Atem-/Achtsamkeitsübungen sowie kognitiven (Imaginations-)Techniken arbeitest, dann
Hallo Marie,

kannst du mir erklären, was Imaginations-Techniken sind?

Das sagt mir im Moment überhaupt nichts.

Gruß
Miranda
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Yorge
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Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Yorge »

Ich sehe schon auch die Suche nach der vollkommenen Zwangsfreiheit als Problem. In einem Gespräch mit einem Tiefenpsychologen, der mich fragte, warum ich schon so lange nicht zu einem zufriedenstellendem Abschluss meiner Therapiebemühungen komme, sagte ich:
So, wie ich meine Hände.. von bestimmten Keimen frei haben möchte, strebe ich vielleicht auch eine absolut perfekte Psyche an.

Euer Austausch hilft mir auch daran zu denken, dass es um die Balance zwischen Gelassenheit und Schaffen geht (um 3h nachts :roll: )
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Silvia
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Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von Silvia »

Ich glaube, wir müssen uns von dem Gedanken „absolut perfekt“ einfach mal verabschieden.

Vielleicht würden wir dann in unserer Therapie, in unserer Gefühlswelt, in unserem Leben „weiter“ kommen und nicht mehr ständig auf der Suche sein....
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OCD-Marie
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Re: Unvollständigkeitsgefühl

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Miranda,

bei Imaginations-Techniken geht es vor allem darum wie wir mit uns selbst kommunizieren. Dir sind solche Übungen in der ein oder anderen Form vermutlich schon in der Therapie oder in Büchern begegnet, wenn auch ohne deren Hintergründe zu erläutern.

Ein Beispiel:
Wenn du dir vorstellst, wie deine schlimmste Zwangsbefürchtung als Bild, als Gegenstand aussieht dann würde die Antwort vermutlich in folgende Richtung gehen: groß, schwer, übermächtig, dunkel...

Nehmen wir also einmal an, die Befürchtung entspräche einem großen schweren massiven schwarzen Würfel mit mehreren Metern Kantenlänge, der direkt vor deinen Füssen liegt. Er überschattet sozusagen alles, nimmt dir das Licht... und außer dieser dunklen schwarzen Wand kannst du nicht mehr viel sehen.
Wie fühlt sich das an ?

Das ist der Ausgangspunkt. Nun bedinnt die "Arbeit". Denn du kannst diese Bild in deiner Vorstellung verändern !

Du kannst den Würfel z.B. schrumpfen lassen. Bis er nur noch als ganz kleiner Würfel vor deinen Füssen liegt. Fühlt sich das jetzt schon anders an ? Vermutlich ja.

Dann kannst du das Licht aufdrehen. Die Sonne scheinen lassen. Sehen, wie die Wiese um dich herum "plötzlich" wieder in sattem Grün erscheint. Fühlt sich das vielleicht nochmals besser an ?

Wir gehen noch einen Schritt weiter. Schließlich liegt der Würfel immer noch da... Wir stellen uns vor, wie er zerfliest, vom Boden aufgenommen wird und den Blumen im Umkreis als Dünger dient. Wie die Blumen wachsen und aufblühen. Wie die ganze Wiese bunt und farbig wird - im Sonnenschein. Wie die Vögel zwitschern und prächtige Schmetterlinge von Blüte zu Blüte fliegen....
Wie fühlt sich das nun an ?


Das ist das Prinzip. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Man könnte den Würfel auch in den Himmel schließen und als Sternschnuppe verglühen lassen, oder... , oder...

Manchmal werden Expos auch in der Weise vorbereitet, indem wir uns vorstellen sollen, wie wir uns von außen dabei zusehen, wie wir die Expos durchführen. Diese "externalisierte" Sicht ist für manche am Anfang leichter auszuhalten als die "internalisierte" Sicht, also der Ich-Perspektive.
Das ist also auch eine Variante dieser Techniken.

Es gibt sicher ettliche Bücher, in denen das beschrieben wird. Ich selbst habe damals das Buch "Grenzenlose Energie - Das Powerprinzip" von von Anthony Robbins gelesen. Da dort noch einige andere Techniken und "Tricks" enthalten sind, kann ich das Buch sehr empfehlen. Es gehört in den Bereich NLP, also dem "Neurolinguistischen Programmieren". Man darf nur nicht dem Glauben verfallen, NLP sein die Lösung aller Probleme (so wird es leider oft verkauft) - aber die Techniken sind durchaus praktische Werkzeuge - fürs Leben, nicht nur für die Therapie.

Gruß
Marie
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