Zählzwang , Hilfe

Sonja
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Registriert: Mo 4. Feb 2019, 09:18

Zählzwang , Hilfe

Beitrag von Sonja »

Hallo,
ich weiß gar nicht genau, wo ich anfangen soll, :?
meine Tochter ist fast 16 Jahre alt und hatte vor 2 Jahren oft Kopf-Bauchschmerzen,
dann ist sie nicht mehr zur Schule gegangen, bekam schlechte Noten und schließlich sitzengeblieben.
Sie wiederholte dann mit Hilfe einer Schulpsychologin die 8te klasse und es ging wieder aufwärts.
Mir ist dann aufgefallen, dass wir eine horenten Wasserverbrauch hatten und sie stundenlang duscht,
auf Ansprache kam wenig, Therapeuten hatte sie damals abgelehnt ( Wir waren bei 2)
Sie ist sehr introvertiert und geht kaum vor die Tür. In den Herbstferien 2018 vertraute sie sich mir endlich an und ich war erstaunt,
dass sie es erstens so spät erzählte und zweitens so lange verheimlichen konnte, sie hat einen ZÄHLZWANG. Es gibt gute und schlechte Zahlen, magische Zahlen und sie denkt, sie könne damit etwas verursachen.
Nun haben wir viel geredet, darüber, dass Niemandem was passiert, auch wenn sie eine schlechte Zahl erwischt usw...dann ist mein Vater gestorben (ihr Opa), ich war krank, mein Lebensgefährte krank und meine Tochter denkt scheinbar, dass diese "Unglücke" mit ihr zusammenhängen.
Gestern hat sie plötzlich furchtbar geweint und gesagt, sie braucht Hilfe, sie möchte Tabletten, sie könne so nicht mehr weiterleben.
Sie möchte doch Therapie, sie leidet sehr.
Jetzt ist es so, wie immer, alle Therapeuten im Umkreis eine Wartezeit bis zu einem Jahr. :cry:
Ich bin wegen der Wartezeiten geschockt und suche jetzt schnell eine Lösung.
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OCD-Marie
Beiträge: 262
Registriert: Di 17. Apr 2018, 19:44

Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Sonja,

die Suche nach einer "schnellen Lösung" ist nachvollziehbar. Ich möchte an dieser Stelle deine Erwartungen jedoch etwas dämpfen.

Tabletten kann sie recht schnell bekommen. In der Regel fällt die Wahl auf sog. SSRIs (Serotoninwiederaufnahmehemmer). Dazu muss sie nur zum Psychiater oder in eine psychatrische Ambulanz (einer Klinik).

Wenn die Wartezeiten auf eine ambulante Psychotherapie so lang sind - denkbar wäre in ihrer wohl recht verzweifelten Lage auch ein stationärer Aufenthalt. Das sollte dann jedoch eine Klinik sein, die auch auf Zwänge spezialisiert ist. Und - du ahnst es schon - auch hier gibt es Wartezeiten von einigen Wochen bis zu ettlichen Monaten. Zudem dauert ein solcher Aufenthalt 10 bis 12 Wochen - ist also ohne Beeinträchtigung der Schule auch nicht so einfach möglich.
Hinzu kommt ihr Alter. Manche Kliniken nehmen Zwangspatienten erst ab Volljährigkeit auf...

Was sie bereits jetzt tun kann: Bücher über Zwänge lesen. Du findest Buchtipps auf der Seite der DGZ und auch hier im Forum. Auch Youtube bietet inzwischen teils recht interessante Informationen. Auch hierzu gibt es Tipps hier im Forum.

Was mich etwas irritiert ist das "stundenlange Duschen" bei Zählzwang. Denkbar - doch hat sie dir das genau erläutert ? Oder ist da vielleicht noch ein Waschzwang und sie hat dir eben doch noch nicht alles erzählt ? (Zwänge werden nicht umsonst auch als "heimliche Krankheit" bezeichnet...)
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michael_m
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Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von michael_m »

Hallo Sonja,

das sich deine Tochter dir anvertraut, ist ein gutes Zeichen. Es hat sie bestimmt, wie vielen Zwänglern, viel Überwindung gekostet.
Auch dass sie Hilfe sucht und annehmen will, ist eine gute Richtung!

Das was du schilderst, kenne ich von anderen Betroffenen eigentlich mehr unter dem Stichwort "Magisches Denken".
Für Außenstehende hört sich das vielleicht ziemlich bizarr an, aber egal welche Zwänge, sie sind leider selten logisch bzw. rational aufgebaut. Die Betroffenen wissen das meist auch selber, aber können sich trotzdem nicht dagegen wehren. Mir geht es beispielsweise bei meinen Kontrollen so ...

Als schnelle Hilfe ist wohl eine medikamentöse Behandlung eine Option, vor allem, wenn bzgl. der Therapie die Wartezeit so hoch ist. Wie Marie schon schrieb, wäre hier z. B. ein Psychiater die Anlaufstelle. Dort bekommt man in der Regel zeitnah einen Termin.

Neben Lektüre wäre ggf. noch eine Selbsthilfegruppe eine erste und schnelle Hilfe. Ich selbst bin Zwängler und mir hat die SHG sehr gut getan bzw. tut mir sehr gut. Auch kann sich deine Tochter dort vielleicht schon von "therapieerfahrenen" Teilnehmern Tipps für den Alltag bzw. Strategien erklären lassen.

Selbsthilfegruppen bzw. Therapeuten die auf Zwänge spezialisiert sind, kannst du bei der DGZ erfragen. Am besten telefonisch, die Kontaktdaten stehen auf deren Seite unter http://www.zwaenge.de

Viele Grüße und alles Gute, Michael
Zwangzwerg

Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von Zwangzwerg »

Hallo Sonja,

zuerst einmal möchte ich Dir ein großes Kompliment aussprechen, dass Du so versuchst, Deiner Tochter zu helfen und auch den Weg zu Therapeuten nicht scheust, was sicher manche Eltern aus Scham oder falschem Stolz tun. Und dass Du gerade auf die Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen gestoßen bist, ist sicher ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Bei der Wahl eines geeigneten Therapeuten würde ich auf jeden Fall bei dieser Gesellschaft nachfragen, welche Therapeuten sie in Eurer Umgebung empfehlen können. Ich habe mich danach gerichtet und nun endlich und erstmalig nach Jahren den Eindruck, eine Therapeutin gefunden zu haben, die sich tatsächlich mit der Thematik auskennt. Nur "Zwänge" aufs Praxisschild oder die Webseite zu schreiben, reicht leider Gottes nicht aus.

Ich habe vor kurzem zwei Bücher gelesen, die mir enorm weitergeholfen haben, obwohl ich dachte, schon viel über Zwänge zu wissen. Das erste ist
[b]"Wenn Zwänge das Leben einengen: Der Klassiker für Betroffene - Zwangsgedanken und Zwangshandlungen"[/b] von Nicolas Hoffmann und Birgit Hofmann, Springer-Verlag GmbH und das zweite war
"Zwänge bewältigen: Ein Mutmachbuch" von Burkhard Ciupka-Schön. In der Reihenfolge habe ich die Bücher auch gelesen und fand es genau so im Nachhinein ideal, weil das erste Buch mehr beschreibt und das zweite mehr therapeutisch orientiert ist. Die Bücher würde ich sowohl deiner Tochter als auch Dir ans Herz legen, weil sie ihr zeigen, dass sie nicht allein und vor allem nicht verrückt ist, Dir diese (für Außenstehende oft unverständliche) Krankheit näher bringen und Euch beiden Hoffnung machen können.

Wenn Du möchtest, kannst Du mir gerne noch Postnachrichten schicken. Ich drücke Euch feste die Daumen, dass Ihr bald Hilfe findet, aber den ersten Schritt hast Du bereits gemacht!

Liebe Grüße von Mutter zu Mutter
Miranda_L

Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von Miranda_L »

Hallo Sonja,

ich kann sehr gut nachvollziehen, was deine Tochter durchmacht.
Zählzwänge in Verbindung mit magischem Denken. Das habe ich in dem Alter auch durchgemacht.
Das Bizarre an der Sache ist, dass man an sich genau weiss, dass die Befürchtungen, die man hat, irreal sind. Und trotzdem kommt man an dem Gedanken nicht vorbei, weil das Risiko zu groß erscheint, dass vielleicht doch etwas Wahres an der Befürchtung drann ist.
Der Umstand, dass die Befürchtungen so unglaubwürdig sind, sind wahrscheinlich der Grund dafür, dass deine Tochter sich dir erst so spät anvertraut hat.
So war es bei mir auch. Und als ich es dann doch mal wagte, es meiner Mutter zu sagen, sagte sie nur dass das Schlimme, vor dem ich Angst hatte, nicht passieren würde. Und dann war die Sache für sie abgehakt.
Nur dass die Sache dann für den Betroffenen noch lange nicht abgehakt ist, nur weil das jemand anderes sagt.

Wenn du magst, kannst du mir gerne eine PM schreiben und Fragen stellen.
Sonja
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Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von Sonja »

OCD-Marie hat geschrieben: Mo 4. Feb 2019, 15:36 Was mich etwas irritiert ist das "stundenlange Duschen" bei Zählzwang. Denkbar - doch hat sie dir das genau erläutert ? Oder ist da vielleicht noch ein Waschzwang und sie hat dir eben doch noch nicht alles erzählt ? (Zwänge werden nicht umsonst auch als "heimliche Krankheit" bezeichnet...)
Also, sie hat tatsächlich davon berichtet, dass sie eine bestimmte Stelle 30 mal waschen muss oder ihre Haare zu einer bestimmten Anzahl aufschäumen muss, somit hängt der Zählzwang für mich mit dem Waschzwang zusammnen.
Sonja
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Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von Sonja »

OCD-Marie hat geschrieben: Mo 4. Feb 2019, 15:36 Hallo Sonja,

die Suche nach einer "schnellen Lösung" ist nachvollziehbar. Ich möchte an dieser Stelle deine Erwartungen jedoch etwas dämpfen.

Tabletten kann sie recht schnell bekommen. In der Regel fällt die Wahl auf sog. SSRIs (Serotoninwiederaufnahmehemmer). Dazu muss sie nur zum Psychiater oder in eine psychatrische Ambulanz (einer Klinik).
Tatsächlich sind wir über Umwege dann bei einer Psychiaterin gelandet und meine Tochter hat Fluoxetin erhalten, mittlerweile sind wir durch Steigerung bei den 40mg angekommen. Eine Verhaltenstherapie macht sie jetzt auch einmal wöchentlich, das stresst sie noch sehr, denn am liebsten würde sie nicht vor die Tür gehen. Insgesamt hat sich mit dem Medikament die Situation gebessert, sie berichtet, dass sie zwangsfreie Momente hat, kurz, aber immerhin ein kleiner Fortschritt. Und sie redet mehr! Was sie noch lernen muss, ist die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie jemanden damit verletzen könnte. Sie glaubt nämlich, wenn sie einer Person etwas negatives sagt, dass sie dafür bestraft wird, wenn sie keine "gute Zahl" erreicht oder der Person etwas passiert. Es ist für Angehörige kompliziert, sich da reinzuversetzen. Ich habe sie oft weinen gehört. Mein Exmann, ihr Vater, glaubt ihr gar nicht und das Verhältnis geht nicht über das 14 tägliche Besuchen hinaus, sie möchte gar nicht mehr zu ihm, hat aber auch Angst ihn zu verletzen.
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OCD-Marie
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Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Sonja,

schön, dass deine Tochter nun Unterstützung gefunden hat !

Was das Waschen/Duschen anbetrifft... Ob das nun aufgrund des Zählens so lange dauert oder doch ein eigener Zwangsinhalt ist, das lässt sich anhand der wenigen Angaben nicht genau sagen. Beides ist denkbar. Es gibt auch (reine) Waschzwängler, die in dieser Art zählen, einfach weil sie dadurch versuchen, eine gewisse Sicherheit zu erlangen ("zehnmal einseifen ist genug"...). Das muss dann letztlich der Therapeut im Gespräch mit ihr klären.

Deine Tochter muss vermutlich noch mehr lernen, als "nur" die Wahrheit zu sagen.... Das wird ein längerer Weg werden... Aber sie hat ihn begonnen - und das ist gut so !
Was den Vater anbetrifft... wenn er so ignorant ist, dann gibt es vermutlich auch noch weitere Konflikt-Punkte... Da kann sich im Rahmen der Therapie auch noch ergeben, dass es besser wäre, auch die 14-tägige Besuche erst einmal bis auf weiteres einzustellen... Dass dich das nicht zu sehr überrascht, sollte dieser Fall eintreten.

Sich in sie hineinzuversetzen, das verlangt niemand von dir. Das ist im Zweifel selbst dann noch schwer, wenn man selbst betroffen ist. Akzeptieren, dass sie solche Schwierigkeiten hat genügt vollkommen. Auch wenn man es selbst nicht nachvollziehen kann. Das ist ok.

Liebe Grüsse
Marie
Sonja
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Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von Sonja »

Erstmal vielen lieben Dank für deine schrifliche Unterstützung, das mit dem Waschzwang war zuerst, die Therapeutin sagte auch, dass sich manchmal Zwänge verschieben können. Da das Vertrauen zwischen Tochter und Vater beidseitig nicht gegeben ist, wird sich das über kurz oder lang distanzieren. Sie treffen sich zum Eisessen oder Essen, mehr möchte unsere Tochter nicht. Was mich wundert, ist, dass meine Tochter sehr reinlich ist, was Hygiene angeht, sie aber ihr Zimmer zumüllt. Es ist auch oft Streithema zwischen uns, da ich nicht unterscheiden kann, was Zwang und was pubertäre Faulheit ist? ;)
Liebe Grüße Sonja
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OCD-Marie
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Re: Zählzwang , Hilfe

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Sonja,

Zwang und pubertäre Faulheit ?

Mir erschließt sich jetzt nicht auf den ersten Blick, wie Unordnung mit Wasch- oder Zählzwang zusammenhängen sollten.
Wenn du von "zumüllen" sprichst, wäre wichtig zu wissen, dass manche Zwängler auch gleichzeitig ein "Messie-Syndrom" haben...
Die "pubertäre Faulheit" deutet für mich allerdings mehr darauf hin, dass es sich hierbei um einen Fall von mütterlicher Uncoolness handelt... :-)

Oder hast du Anhaltspunkte dafür, dass Zwang und Unordnung doch miteinander verknüpft sind ?
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