Vor- und Nachteile der Therapieformen

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Miranda_L

Vor- und Nachteile der Therapieformen

Beitrag von Miranda_L »

Hi,

mich würde interessieren, wie ihr die Therapie(n) die ihr macht bzw. gemacht habt bewertet.
Was findet ihr gut, was eher nicht, was hättet ihr euch vielleicht gewünscht?

Ich selbst habe zwei Kurztherapien (jeweils 12 Therapiestunden) im Bereich Tiefenpsychologie gemacht.
Das war eine reine Gesprächstherapie.
Bei mir war es so, dass ich lange Zeit gedacht habe, dass diese Therapie mich überhaupt nicht weiter bringt. Ich hatte schon mit meiner Therepeutin besprochen, die Therapieform zu wecheln, als es ca. nach der 10. Therapiestunde *klick* gemacht hat und ich ein paar Dinge erkannte, die ich in meinem Leben viel zu lange als selbstverständlich akzeptiert hatte, die mich aber psychisch enorm belasteten.
Ab dem Moment ging es bergauf.
Ich habe dann noch eine zweite Kurztherapie bei der gleichen Psychologin gemacht bzw. eine Verlängerung hinterhergeschoben und muss mittlerweile sagen: Ich bin auf einem guten Weg.
Die Probleme sind nicht weg, aber identifiziert. Zwangsgedanken lassen sich leichter erkennen und überwinden. Ich habe einige Ängste abgebaut, andere wiegen nicht mehr so schwer, sodass ich mich besser dagegen wehren kann als noch vor einem Jahr. Ich bin also durchaus zuversichtlich.

Somit kann ich nur sagen: Die tiefenpsychologische Therapie hat mir sehr gut weitergeholfen.
Was ich mir allerdings gewünscht hätte, wären Verhaltenstipps gewesen.
Gesprächstherapie ist ja schön und gut, und nach jeder Therapiestunde fühlt man sich auch erstmal etwas besser, aber dann ist man den Zwängen und Ängsten bis zur nächsten Therapiestunde schutzlos ausgeliefert, ohne eine Idee zu haben, wie man damit umgehen soll.

Ich habe mich gerade in der ersten Zeit so gefühlt, als wäre ich ins kalte Wasser geschmissen worden ohne schwimmen zu können.
Wenn die Ängste und Befürchtungen richtig feuern, hilft einem nunmal die Aufforderung: "Dann lass es doch einfach!" nicht weiter.
Und die Erklärung "Je mehr Raum du der Angst gibst, desto mehr Raum nimmt sie sich dazu!" hilft ebenfalls wenig. Das weiss man ja. Das erlebt man ja gerade am eigenen Leib.

Ich musste also jede Änderung in meinem Verhalten in Eigenregie durchführen. Ausprobieren, herausfinden was funktiniert und was scheitert. Herausfinden was etwas nützt und leider auch herausfinden, was schadet.
Und leider werfen einen diese schädlichen Erfahrngen gerade am Anfang sehr weit zurück. Und da man sich noch nicht auskennt, macht man viele davon.

Der Vorteil ist allerdings, dass ich jetzt einen ziemlich guten Überblick darüber habe, wie Zwang funktioniert. Wie mein Zwang funktioniert, was die Trigger sind, was mir gut tut. Ich habe viele Dinge über mich selbst und auch über mein Umfeld gelernt.
Ich habe mir selbst einen Weg erarbeitet, wie ich Probleme lösen kann und bin jetzt tatsächlich sehr viel weniger hilflos.

Somit ist mein Fazit was meine Erfahrung mit Tiefenpsychologie angeht:
Es ist gerade am Anfang ein steiler und teilweise unnötig steiniger Weg für den sehr viel Eigeninitiative vonnöten ist. Ab einem bestimmten Punkt sind allerdings die Ergebnise sehr positiv und nachhaltig.

So, soweit zu meinen Erfahrungen.
Jetzt bin ich gespannt auf eure :)
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Yorge
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Therapie formen

Beitrag von Yorge »

Das mit den Therapierichtungen bringt uns eigentlich nichts. Das brauchen die für ihre Schilder und Vereine und vielleicht noch für Studien (damit sie erkennen können, dass sich Verhaltensänderung leichter statistisch erfassen lässt, als z.B. Selbstfürsorge oder ein wohlwollendes und liebevolles Miteinander). Wir müssen darauf schauen, was/wer für uns passt. Was wir brauchen für ein gelungenes Leben. Und welcher Gruppierung diejenige von der wir das, was uns gut tut bekommen, angehörig ist, darauf kommt es nicht an.

Ich konzentriere mich zunehmend auf mich und weniger darauf, was der Therapeut will, macht, kann,... damit mache ich eigentlich ganz gute Erfahrungen.
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
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Yorge
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Re: Vor- und Nachteile der Therapieformen

Beitrag von Yorge »

So wie ich das gestern geschrieben habe, das entspricht schon meiner Überzeugung, aber es ist nicht so, dass Therapierichtungen für mich nicht auch von Relevanz sind/bisher waren. Es ist meiner Ansicht so, dass der Trend in Richtung mehr integrative Therapien geht und Gott-sei-Dank zunehmend der beschränkende Weg verlassen wird, die Einstellung zu haben, dass das was man macht das alleinig "Wahre" ist (so wie ja auch in anderen Bereichen, wie Religion oder in der Medizin..) - in der Erweiterung der Verhaltenstherapie mit ACT sieht man das meine ich ganz gut, aber darüber haben wie uns ja schon mal ausgetauscht - falls du da gerade nicht dabei warst, kann ich gerne noch mal die Forums-Historie durchforsten, wenn es dich interessiert.

Ich habe mich in den letzten Jahren vor allem mit humanistischen Therapie-Ansätzen beschäftigt - insbesondere mit klienten-/personzentrierter Gesprächstherapie nach Carl Rogers. (Du schreibst zwar von deiner Analyse auch von "Gesprächstherapie", womit du ja vom Inhaltlichen eigentlich ganz recht hast - allerdings meine ich, dass wenn von "Gesprächstherapie" sozusagen Umgangssprachlich die Rede ist - der person/klientenzentrierte Ansatz gemeint ist).

Ich habe letzten Sommer von meiner Verhaltenstherapie geschrieben und eigentlich ist während dessen die Gesprächstherapie die schon mehrere Jahre angedauert hat vorher und nachher weitergelaufen. Ich fand das recht interessant. Ich habe das natürlich in Absprache mit den beiden Therapeuten gemacht und das sind meiner Ansicht nach wirklich gute auf ihrem Gebiet. Es war so, dass der Gesprächstherapeut mich, ganz im Sinne einer unbedingte Akzeptanz, keineswegs zu irgendwelchen Expos aufgefordert hatte. Das war einerseit gut für mich, weil ich mich damit ganz angenommen fühlen konnte. Es war für ihn und damit für mich also wirklich mal in Ordnung, wenn ich einfach gerade vom Zwängeln nicht ablassen konnte (natürlich habe ich trotzdem darauf geachtet, in gewissem Maße den Zwang zu beschränken). In mir wurde aber trotzdem das Bedürfnis immer stärker, dass ich in manchen Bereichen den Zwang loswerden wollte und, so wie geschildert, z.B. einfach wieder normal den Garten herrichten und genießen wollte. Und ich merkte, dass ich mit dem Gesprächstherapeuten, da nicht weiterkomme und habe mir selbstbestimmt für einige Stunden die Verhaltenstherapeutin "genommen" um Dinge im wahrsten Sinne des Wortes "in Angriff zu nehmen". Für den Gesprächstherapeuten war das voll in Ordnung und er war auch irgendwie erleichtert, dass ich mir das, was er mir nicht geben konnte eben bei jemand anderem geholt habe - und letztlich ist es ja auch im Sinne einer personzentrierten Therapie und wsl. auch jeder anderen Therapie, die ja immer auch die zunehmende Eigenständigkeit und damit Unabhängigkeit vom Therapeuten zum längerfristigen Ziel haben sollte.

Und somit war auch meine Verhaltenstherapie - diesmal viel mehr als die vorangegangenen - stark von der Eigenverantwortung geprägt. Ich entscheide, welche Expo ich mache. Was ich schon alleine schaffe und wofür ich noch Unterstützung durch die Therapeutin brauche.. Als sie kurz meinte, dass ich aber unbedingt zuerst den Verlauf der Angstkurve verstehen muss um überhaupt Expos zu machen, sagte ich ihr gleich mal, dass mich das nicht interessiert - ich muss das nicht wissen, weil das eh sie weiß. War natürlich ein bisschen überspitzt formuliert und ich hab mich dann natürlich auch selbst informiert.. Und der erfahrenen Therapeutin hat meine Einginitiative auch recht gut gefallen. Was ich aber damit schon auch sagen will - es muss in der Therapie auch keineswegs immer freundlich zugehen. Mit dem Zwang, da habe wir mit etwas zu tun, das keineswegs immer freundlich mit uns ist und uns mit seinem Drangsalieren bis zur Erschöpfung quälen kann.
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
Silvia
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Re: Vor- und Nachteile der Therapieformen

Beitrag von Silvia »

Hallo,

ich hab jetzt eine ganze Weile hin und her überlegt, was ich dazu schreiben sollte/ könnte und musste dabei feststellen, dass es gar nicht so entscheidend ist, mit welcher Therapieform man geht, was man ausprobiert, oder doch lieber sein lässt....
Wichtig ist viel mehr, dass man sich dabei, mit dem was man tut, wohl fühlt.
Der Zwang beschert uns schon so viele unangenehmen Dinge, da sollte die „Arbeit“ gegen ihn nicht nur anstrengend sein, sondern auch irgendwie Spaß machen.
Ich kann von mir aus sagen, dass ich total gerne zu meiner Therapeutin gehe. Sie und ihre Arbeit sehr schätze und dankbar dafür bin, dass sie mich dennoch frei entscheiden lässt, was für mich passt, oder was eben nicht.
Laut Antrag mache ich eine Verhaltenstherapie. Ich würde aber sagen, dass es das alleine ganz und gar nicht ist. Meine Therapeutin ist da ziemlich flexibel und arbeitet mit mir auch sehr viel mit dem tiefenpsychologischen Ansatz. Sie baut auch diverse Übungen ein, sei es Achtsamkeitsübungen, Übungen zum Umgang mit meinen Mitmenschen, Rollenspiele,... und als nächstes wollen wir mal den Stuhl- Dialog ausprobieren.
Mittlerweile bin ich davon überzeugt, das die Arbeit gegen den Zwang nur bedingt sein müsste. Viel entscheidender und wesentlicher ist es, an seinem Leben, an den Lebensumständen zu arbeiten.
Ich habe am eigenem Leib feststellen müssen, dass der Zwang auch ohne Konfrontationen zu bröckeln beginnt, wenn man seine Baustellen erkannt hat und daran zu arbeiten beginnt.

Meine Therapeutin hat mich immer wieder ermutigt, meine Wut auf den Zwang, gegen ihn zu verwenden. Das hilft auch.
Diese Sinnlosigkeit zu erkennen und sich bewusst dagegen zu stellen.

Ich würde sagen, eine gute Mischung aus verschiedensten therapeutischen Ansätzen ist vielleicht das Beste. Zumindest fahre ich damit sehr gut. Aber vielleicht ist das ja auch genauso individuell, wie der Zwang eben auch. Was dem einem hilft und gut tut, muss noch lange nicht für jemand anderen passend sein.

Liebe Grüße!
Nichts kann existieren ohne Ordnung,
nichts entstehen ohne Chaos.
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Yorge
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Re: Vor- und Nachteile der Therapieformen

Beitrag von Yorge »

Ich finde auch , dass Therapie so vielfältig, wie das Leben sein darf oder sollte. Mal anstrengende Arbeit - mal entspannend, lustig und dann wieder traurig, persönlich und fachlich,.. super, Silvia, dass du diesbezüglich auch offen bist, dich auf mehr Lebendigkeit und weniger Ordnung einzulassen.
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Yorge
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Tiefenpsychologie

Beitrag von Yorge »

Ich beschäftige mich jetzt auch etwas mehr mit Tiefenpsychologie. An einem Kapitel in dem gleichnamigen Buch "Der gehemmte Rebell" von Hermann Lang "arbeite" ich gerade - "arbeiten" schreibe ich deswegen, weil ich es tatsächlich nicht recht angenehm finde zum Lesen - ob es nachhaltiges was Gutes bringt, werde ich ja sehen, sofern man das überhaupt dann sagen kann.

In dem Youtube-Video
https://www.youtube.com/watch?v=5PolHu2vsB0
geht es darum, dass ein Denken in Extremen in Bezug auf die Sicht von einem Selbst (bin ich absolut moralisch, liebenswert, verantwortungsbewusst oder eben gleich mal wieder überhaupt nicht, wenn etwas nicht ganz passt) typisch für Patienten mit Zwängen ist. Die Ursache - wird hier erklärt - könnte in einer unzureichenden Bindung in der elterliche Erziehung liegen bzw. in der Widersprüchlichkeit, was sie verbal und emotional ausdrücken.
Ich kann nachvollziehe, dass dies die Entwicklung von Zwängen fördern kann, nur sind das nicht auch "gute Voraussetzungen" für viele andere psychische Störungen?

Habt ihr Interessantes zur Psychoanalyse / Tiefenpsychologie von Zwängen bereits gelesen, gesehen..?

(Dank an Miranda, die uns schon sehr interessante Einblicke dahingehend gegeben hat - kannst du was empfehlen zum Lesen, Sehen, Hören..?)
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
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