Krisenhafter Rückfall möglich?

Caracas
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Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von Caracas »

Hallo,

seit einigen Jahren leide ich an einer Zwangsstörung bei der es vor allem darum geht, ob ich anderen Menschen unbeabsichtigt, fahrlässig oder ohne mich daran zu erinnern Schaden zugefügt habe. In den letzten Monaten ging es mir einigermaßen gut, dank eines stationären Aufenthaltes in einer Spezialklinik (Bad Bramstedt) lernte ich die Exposition mit Reaktionsverhinderung. In allen Situationen wendete ich diese nicht immer konsequent an, doch gelang es mir mich von allen Gedanken relativ schnell zu lösen ohne länger zu kontrollieren. Zusätzlich nehme ich gerade Sertralin 50mg, habe aufgrund der im Folgenden beschriebenen Situation wieder auf 100mg erhöht.

Vorletzten Samstag kam es zu einem Ereignis, das mich vollkommen aus der Bahn geworfen hat. Seitdem denke ich ununterbrochen - also während meiner gesamten wachen Phase am Tag - an dieses Ereignis. Eine Bekannte hatte von mir einen Mini-Schokoriegel, der seit einem Monat abgelaufen war und das ich aus einem Abfallbehälter eines Supermarktes vor dem Wegwurf gerettet hatte (man nennt das Containern), bekommen und gegessen. Der Mini-Schokoriegel war zweifach eingepackt, also in einer Pappbox mit anderen Mini-Schokoriegeln und dann nochmal selbst in einer Aluminiumfolie. Später stellte ich fest, dass in die Pappbox an einer Stelle irgendeine gelbe Flüssigkeit hinein gelaufen war, allerdings nur punktuell. Es kann sein, dass die Flüssigkeit einige Mini-Schokoriegel an der Außenverpackung verunreinigt hatte, jedoch war sie mittlerweile eingetrocknet. Die Bekannte lag seit vier Wochen auf der Palliativstation wegen einer Krebserkrankung und drei Tage nachdem sie den Mini-Schokoriegel gegessen hatte, starb sie. Ihre Lunge füllte sich mit Wasser und sie hörte auf zu atmen. Seitdem denke ich, dass ich mitverantwortlich für ihren Tod bin. Immer wieder kommt dieser Schuldvorwurf, warum ich es zuließ, dass sie diesen abgelaufenen und eventuell von außen mit Keimen verschmutzten Mini-Schokoriegel gegessen hatte. Eigentlich waren diese Mini-Schokoriegel nicht für sie bestimmt, sondern für ihren Mann. Er bot ihr jedoch auf einmal einen an und ich sagte nichts. In dem Moment war es mir peinlich etwas zu sagen, ich reagierte nicht schnell genug. Zudem glaubte ich, dass die Mini-Schokoriegel unbedenklich seien. Ich selbst schaue bei Süßigkeiten nie auf das Haltbarkeitsdatum, weil ich denke, dass sie aufgrund des Zuckers nicht schlecht wird. Von den Mini-Schokoriegeln hatte ich mehrere gegessen und keine Beschwerden. Meine schwer kranke Bekannte hatte aber wahrscheinlich ein sehr schwaches Immunsystem. Es kann ja auch sein, dass die Aluminiumfolie der Mini-Schokoriegel von außen mit einer Flüssigkeit verunreinigt war, die für einen normalen Menschen nicht tödlich ist, jedoch für Menschen mit einem schwachen Immunsystem giftig ist und die Lunge angreift. Ich habe das Gefühl fahrlässig gehandelt zu haben, weil ich die Herkunft der Mini-Schokoriegel und auch den Gesundheitszustandes meiner Bekannten kannte und nichts gemacht habe.

War es nicht total unverantwortlich, ihr nichts zu sagen und sie den Mini-Schokoriegel essen zu lassen? Habe ich einen schweren Fehler gemacht, für den ich mich schuldig fühlen muss? Muss ich die Situation in irgendeiner Weise auflösen? Ich habe im Nachgang alle Stationsärzte und den Psychologen der Station per Mail kontaktiert und ihnen alles geschildert. Der Psychologe teilte mir mit, dass seiner Meinung nach ein Zusammenhang ausgeschlossen sei und empfahl die Behandlung meiner Zwangsgedanken. Die Ärzte antworteten mir nicht. Vielleicht weil sie nicht ausschließen können, dass es einen Zusammenhang gibt? Ich kontaktierte zwei Psychiater, beide teilten mir mit, dass ein medizinischer Zusammenhang ausgeschlossen sei. Aber sie wollen mich vielleicht nur beruhigen. Nach wie vor habe ich den Eindruck etwas falsch bzw. Verantwortungsloses gemacht zu haben, für das ich mich entschuldigen und um Verzeihung bitten muss. Ich überlege die ganze Zeit ihren Mann zu kontaktieren und ihm alles zu erzählen. Nur so glaube ich inneren Frieden zu finden und mein schlechtes Gewissen zu bereinigen. Davon wurde mir jedoch von verschiedener Seite abgeraten, da er sich gerade in einer Ausnahmesituation befände (gerade seine Frau verloren und zwei junge Kinder, um die er sich jetzt alleine kümmern muss). Mir leuchtet das auch etwas ein, doch gleichzeitig quälen mich diese nicht endenden Schuldgefühle.

Wie würdet ihr an meiner Stelle handeln? Wahrscheinlich neutralisiere ich gerade. Findet ihr, dass mein Verhalten total verantwortungslos war und ich es ihrem Mann schuldig bin alles zu erzählen? Werde ich nur so Ruhe finden?

Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, ob dieser Gedanke nie enden wird. Was kann man konkret machen, damit sich dies ändert? Einfach nichts tun und aushalten? Ich sehe gerade keinen Ausweg und jeder Tag ist für mich die Hölle. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so einen schweren Rückfall erleiden kann und frage mich ehrlich gesagt, ob es überhaupt ein Rückfall ist oder ich nicht wirklich etwas "Schuldbehaftetes" getan habe, für das man sich schuldigen fühlen sollte. Hattet ihr schon einmal eine ähnliche Erfahrung und wisst ihr, ob ein Zwangsgedanke irgendwann auf jeden Fall verschwindet oder ewig andauern kann, wenn man nichts dagegen macht?

Vielen Dank für eure Antworten
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OCD-Marie
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Registriert: Di 17. Apr 2018, 19:44

Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Caracas,

langer Rede kurzer Sinn:
Caracas hat geschrieben: Mi 15. Jan 2020, 17:32 Ich hätte nicht gedacht, dass ich so einen schweren Rückfall erleiden kann und frage mich ehrlich gesagt, ob es überhaupt ein Rückfall ist
Ja, solche Rückfälle sind fast schon "normal". Wenn du deine Therapie fortführst sollten sie mit den Jahren weniger und leichter werden.
Caracas hat geschrieben: Mi 15. Jan 2020, 17:32 wisst ihr, ob ein Zwangsgedanke irgendwann auf jeden Fall verschwindet oder ewig andauern kann, wenn man nichts dagegen macht?
Von alleine hören Zwänge höchst selten auf. Also nichts mit "auf jeden Fall" !
Allerdings, ewig dauern sie auch nicht an. Wenn du erst einmal selbst in der "Kiste" liegst, ist auch mit deinen Gedanken schluss ! ;)
Caracas hat geschrieben: Mi 15. Jan 2020, 17:32 Die Bekannte lag seit vier Wochen auf der Palliativstation
Damit ist ja wohl alles gesagt. Palliativstation. Bereits seit vier Wochen ! Hast du gedacht, sie würde dort noch jahrelang leben ?

Liebe Grüsse
Marie
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jens
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Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von jens »

du weißt selber das deine gedanken unsinn sind , ist ja normal beim zwang . aber da ist ja dieses dumme gefühl was einen immer fertig macht . aber weil du schreibst : gute fortschritte in der klinik usw . ich mache immer diese erfahrung , bin ich in der klinik oder urlaub ist alles gut , komme ich zurück , fängt der ganze sch.iß von vorne an .
Caracas
Beiträge: 6
Registriert: Mi 15. Jan 2020, 17:14

Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von Caracas »

Vielen Dank für eure Antworten,

man sagt ja auch als Zwangskranker ist man "ver-rückt" bei klarem Verstand. Wenn man mir es sagt, sehe ich für einige Zeit ein, dass meine Gedanken Unsinn sind. Doch bin ich dann wieder mit mir alleine, drehen die Gedanken ihre Runden und unheimliche Schuldgefühle überkommen mich. Dann denke ich, dass die Schuldgefühle aus einer fahrlässigen Handlung resultieren müssen, für die ich mich entschuldigen muss oder irgendetwas gut machen muss.
Eine Frage, die gerade etwas dringend ist. Eigentlich wollte ich ab Sonntag für drei Wochen in den Urlaub fliegen. Jetzt geht es mir aber nicht so gut und ich bin mir nicht mehr sicher, ob das so eine gute Idee ist. Leider kann ich den Flug weder umbuchen noch stornieren.. hat jemand Erfahrung damit, wie es ist in einer Zwangskrise in den Urlaub zu fahren? Kann die Ablenkung gut tun oder fühlt man sich dann eher noch schlechter?
Silvia
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Registriert: Mo 13. Aug 2018, 17:12

Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von Silvia »

Hallo Caracas,

lass Dich von dem Zwangsmonster nicht um Deinen geplanten Urlaub bringen.
Letztendlich sind es nur Gefühle, die uns zu schaffen machen.

Mir persönlich tut es immer sehr gut, raus zu kommen.
Auch der Zwang, ist mittlerweile im Urlaub, meist wie weggeblasen.

Nutze die Zeit und lass die Seele baumeln.

Alles Gute!
Nichts kann existieren ohne Ordnung,
nichts entstehen ohne Chaos.
Caracas
Beiträge: 6
Registriert: Mi 15. Jan 2020, 17:14

Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von Caracas »

Vielen Dank für deine aufbauenden Worte=)

Eine Frage:
Ist es realistisch zu denken, dass die von mir containerten Süßigkeiten mit irgendeiner (leicht) toxischen Flüssigkeit an der Außenverpackung behaftet waren, die zum beschriebenen Tod meiner Bekannten (Wasser in der Lunge und eingeschlafen) geführt hat bzw. dazu beigetragen hat? Oder ist das ein Zwangsgedanke, dem ich keine Beachtung schenken sollte? So ganz entkräften kann ich ihn nicht und zudem hören diese Schuldgefühle nicht auf... aber naja sie können auch von der Zwangsstörung kommen.
Ulrike
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Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von Ulrike »

Hallo Caracas,

hast Du mal darüber nachgedacht Dir zeitnah therapeutische Hilfe zu holen um dem Rückfall entgegen zu wirken?

Es gibt ja jetzt auch Akutstunden, für die jeder Therapeut Kapazitäten frei halten muss, so dass man auch wirklich Chancen hat, zeitnah einen Termin zu bekommen. Natürlich sollte es jemand sein, der sich mit Zwängen auskennt. Vielleicht gibt es sogar noch einen früheren Behandler, der Dich und Deine Problematik kennt und mit dem Du schon erfolgreich gearbeitet hast?
ocdopus
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Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von ocdopus »

Hallo Caracas,

Deine Gedanken zu der Flüssigkeit bzw. Süßigkeit sind definitiv unrealistisch und Zwang pur (leider sind Zwängler Meister darin, "Kausalketten" zu bilden, wo keine sind, glaub mir...). Ein Lungenödem (Wasser in der Lunge) hingegen ist typisch für krebsbedingtes Organversagen.

Ich kenne das aber leider nur zu gut, dass mich ausgerechnet kurz vor dem Urlaub die Zwänge ganz besonders stark überfallen. Vielleicht kommt es davon, dass man dabei jedes Mal gezwungen ist, etwas aus dem bisherigen gedanklichen Hamsterrad auszusteigen und allein das ist erstmal emotional anstrengend. Ich versuche mir dann jedes Mal zu sagen "nein, diesen Urlaub lass ich mir nicht nehmen", und jedes Mal hat sich hinterher gezeigt, dass der Tapetenwechsel sehr, sehr wertvoll war.

In diesem Sinne wünsche ich Dir Erholung im Urlaub (kann mich Silvia nur anschließen)

Gruß, ocdopus
Caracas
Beiträge: 6
Registriert: Mi 15. Jan 2020, 17:14

Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von Caracas »

Hallo ihr Lieben,

auch wenn mir in gewissem Maße bewusst ist, dass es wohl keinen Zusammenhang zwischen dem Konsum der abgelaufenen Schokolade und dem krebsbedingten Tod meiner Bekannten gibt, frage ich mich, ob ich nicht generell etwas Verantwortungsloses gemacht habe. Ich habe Freunden ohne sie darauf hinzuweisen, Schokolade angeboten, die 1 Monat abgelaufen war und die ich aus einer Mülltonne eines Supermarktes gerettet hatte. Gut, die Schokolade war zweifach eingepackt und ich war der Meinung, dass es nichts ausmacht, wenn sie einen Monat abgelaufen ist. Aber hätte ich nicht trotzdem meine Freunde darauf aufmerksam machen müssen? Ist es verständlich, dass ich mich jetzt schuldig fühle und muss ich meinen Freunden alles beichten, um inneren Frieden zu finden? Oder ist das alles nur Zwang? Diese Schuldgefühle erdrücken mich nach wie vor. Mir wurde abgeraten, dem Mann der verstorbenen Bekannten davon zu erzählen, weil er sich gerade in Trauer befindet. Es fällt mir jedoch schwer, die Situation so stehen zu lassen. Hatte jemand schon mal eine ähnliche Erfahrung und kann mir jemand sagen, ob diese Schuldgefühle irgendwann von selbst verschwinden, wenn ich nichts mache?
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SHG
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Wohnort: Linz

Re: Krisenhafter Rückfall möglich?

Beitrag von SHG »

Vielleicht hilft es grundlegender an den Zwängen zu arbeiten, nicht nur sich symptomatisch mit Expositionsübungen ein paar störende Zwänge abzugewöhnen. Es geht nicht darum keinen Hauch von Schuldgefühl mehr zu haben und auch nicht darum absoluten ewigen inneren Frieden zu erreichen (um was sich dann womöglich auch noch der bedauernswerte Freund kümmern sollte). Auch solltest du dir erlauben, dir sagen zu können: "Das ist nun vorbei und damit nicht mehr zu ändern. Vielleicht würde ich jetzt in ein einer ähnlichen Situation anders handeln." Natürlich kannst du jetzt nicht alle vergangenen Kausalitäten so nachvollziehen, damit du deine absolute Unschuld für dich beweisen kannst. Jetzt suchst du verzweifelt (auch hier im Forum) danach, dass dich andere von deinen Schuldgefühlen erlösen. Es geht nicht darum, dass du frei von diesen Gefühlen wirst, sondern, dass du anerkennst, dass solche Gefühle, auch, wenn sie unangenehm sind, zum Menschsein dazu gehören. Das wäre jetzt eine Expositionsübung - diese Gefühle und Gedanken auszuhalten. Sich immer wieder von anderen die Absolution holen, damit du dich frei von jeder Schuld fühlst, dir immer wieder sagen lassen, "nein du bist nicht Schuld, das ist alles bestimmt nur deine Zwangsstörung", ist nichts anderes als sich ständig die Hände zu waschen oder zu kontrollieren. Wir sollten uns die Möglichkeit erlauben, auch etwas nicht ganz optimal gemacht zu haben.

Natürlich ist es möglich, dass ein unheilbar kranker Mensch an einer Infektion stirbt, sollten diese Menschen deswegen ihre letzten Wochen isoliert in Quarantäne verbringen?
Ich denke allerdings auch nicht, dass dein Schoko mit ihrem Tod direkt zusammenhängt. (eigentlich wollte ich das nicht schreiben, nicht weil ich es nicht glaube, sondern weil es nicht richtig ist, dich immer wieder auf diese Weise zu beruhigen - aber anscheinend bringt es dir nachhaltig nichts, weil das haben die ja schon andere gesagt. Und den absoluten Beweis, den du suchst den gibt es nicht und darum, brauchst du es immer und immer wieder. Und wenn sich diese Sache dann doch mal erledigt hat, kann wieder was ähnliches mit etwas anderem Inhalt folgen.)
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