OCD-Marie hat geschrieben: ↑Do 8. Aug 2019, 17:22 Hallo !
(...)
Allerdings sind in deinem kurzen Abschnitt gleich mehrere Punkte enthalten, die man sich gesondert anschauen sollte.
Wir können nichts für die Zwänge ?
Meiner Meinung nach (und auch meiner Erfahrung nach) erschaffen wir die Zwänge selbst. Das kommt nicht von außen. Wir sind also durchaus dafür verantwortlich - und "können" somit auch etwas dafür. Aber das ist ein ganz eigenes Thema.
Das sehe ich anders, aber letztendlich ist das eine sehr philosophische Frage, die viel mit Menschenbild, Körper-und-Geist-Frage etc. zusammenhängt. Ich bin in diesem Zusammenhang eher szientistisch geneigt und würde dir auf dieser Grundlage (zumindest in großen Teilen) widersprechen. Denn das aktuelle Bild von Zwangsstörungen in der Wissenschaft ist ja, dass diese durchaus körperliche (hormonelle und/oder neurostrukturelle) Ursachen hat und ich persönlich zumindest fühle mich nicht verantwortlich dafür, dass mein Gehirn es nicht schafft, ordentlich zu arbeiten. Ich fühle mich (die Diskussion gabs ja an anderer Stelle auch schon) verantwortlich dafür, wie ich mit den Unzulänglichkeiten meines Gehirns umgehe (ob ich mir Hilfe suche, ob ich meine Übungen mache, ob ich daran arbeite etc.), aber für die Struktur meines Gehirns? Habe ich darauf überhaupt genug Einfluss, um mich da irgendwie verantwortlich zu fühlen?
Und wird das Fehlen meiner eigenen Entscheidung und Verantwortlichkeit nicht schon am Namen Zwangsstörung deutlich? Immerhin bedeutet "Zwang" schon rein konzeptuell die Abwesenheit von Entscheidungsmöglichkeit.
Natürlich ist die Frage nach Verantwortlichkeit gerade bei psychischen Erkrankungen eine sehr alte und viel diskutierte, aber ich wurde argumentieren, dass es nicht von ungefähr kommt, dass man von "Erkrankungen" spricht und die körperliche Komponente des Ganzen betont. Neben (meiner Ansicht nach) dem wissenschaftlichen Fortschritt steckt da nämlich durchaus eine "politische" Komponente mit drin, die ich voll und ganz unterstütze, nämlich der Abbau von Stigmata. Denn wenn ich "etwas dafür" kann, wäre dann nicht eine völlig logisch Antwort, ich "müsse mich einfach nur ein bisschen zusammenreißen und dann ginge das schon wieder"?
OCD-Marie hat geschrieben: ↑Do 8. Aug 2019, 17:22 Das wäre total schrecklich ?
Wirklich ? Der Punkt ist, ob etwas "schrecklich" ist oder nicht - das bestimmst ganz allein du selbst. Indem du etwas als "schrecklich" bewertest.
Was wäre, wenn du aus Liebe zu deinem Partner darauf verzichtest ? Das ist im Prinzip die Frage, die Silvia gestellt hat. Dann ist es nicht "schrecklich", sondern deine eigen Entscheidung.
Alleine sein vs. Einsamkeit ?
"Alleine sein" und "einsam sein" ist nicht das Selbe !
Man kann durchaus alleine sein, ohne einsam zu sein. Einsamkeit drückt Leiden aus. Wer einsam ist, der will nicht alleine sein. Aus welchem Grund auch immer.
Da hast du völlig recht. Auch hier kann ich nur auf Grundlage meines Menschenbildes argumentieren, das besagt, dass Menschen durch und durck soziale Kreaturen sind, denen eine Abwesenheit von Nähe und Intimität fehlen würde. Sicherlich gibt es Ausnahmen davon, aber die würden dann ja nicht "wegen des Zwangs" keine Beziehungen eingehen, sondern weil sie ohnehin keine eingehen wollen. Zu dem "aus Liebe zu meinem Partner" habe ich ja schon recht ausführlich geantwortet. Darüber hinaus gebe ich Yorge (?) recht (wenn ich die Beiträge richtig in Erinnerung habe und dem/r richtigen Schreiber/in zuordne) und würde auch argumentieren, dass, wenn ich wegen meiner Zwangsstörung für meinen Partner mit ihm Schluss mache, das auf nichts anderem gewachsen ist als dem Zwang. Interessant fände ich an dieser Stelle übrigens, was so die einzelnen Therapeut/innen dazu sagen würden, wenn ihre Patient/innen ihnen erzählen würde, sie hätten mit dem/r Partner/in Schluss gemacht, weil das für die besser wäre...
OCD-Marie hat geschrieben: ↑Do 8. Aug 2019, 17:22 Zur "Genesungsgrenze"...
Ja, ich bin in der Tat der Meinung, dass es für Zwängler (und deren potentiellen Partner) ab einem gewissen "Stadium" tatsächlich besser wäre, keine Beziehung mehr zu führen. Denn die Partner leiden mitunter auch sehr darunter.
Nur, wo ist dieses "Stadium" und wer entscheidet, ob dieses Stadium erreicht ist?
OCD-Marie hat geschrieben: ↑Do 8. Aug 2019, 17:22 Es stellt sich ohnehin die ganz grundsätzliche Frage: Sind Zwang und Liebe wirklich miteinander vereinbar ?
Ich finde, nein. Beide könnten gegensätzlicher nicht sein. Sie sind wie Feuer und Wasser.
Dazu muss man sich vielleicht erst einmal anschauen, was Menschen unter "Liebe" verstehen. Manche Menschen sprechen von "Liebe", wenn sie starkte Gefühle für einen anderen Menschen empfinden. Doch zum einen sind Gefühle vergänglich - sodass sich nicht wenige früher oder später fragen, wo denn die "Liebe" hin sei...
Und zum anderen, was steht hinter diesen starken Gefühlen ? Manche sind glücklich, dass sich jemand für sie interessiert. Dass sie nicht mehr alleine sind. Dass sie es "wert" sind, geliebt zu werden. Manche wollen begehrt werden. Andere das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Wieder andere wollen (vor allem Frauen), dass der Partner ihnen das Gefühl gibt, etwas besonderes zu sein...
Manchmal ist es auch eine Art von Sucht, ein Anklammern an den Partner, das starke Gefühle verursacht. Hier stehen Verlustängste im Vordergund.
Die Aufzählung liese sich sicher noch verlänger.
Kurzer Einwurf, damit wir ein gemeinsames Wissen darüber haben, wovon wir reden, wenn wir "Liebe" sagen: Obwohl ich sagen würde, dass alle Komponenten, die du aufzählst, sicherlich zur Liebe, wie sie nun mal ist (-> ich schreib dazu unten gleich noch was), mit dazu gehören, würde ich keine davon in ihrer Reinform als "Liebe" bezeichnen. Erstere ist "Verliebtheit", alles andere ist schlicht das, was du beschreibst.
Wenn du das sehr "weltlich" meinst, finde ich das eine ganz schön generalisierte Aussage, für die ich erstmal einen Beweis von dir fordern würde
Wenn du das eher "metaphysisch" meinst (was ich fast ein bisschen denke, weil du in einem anderen Beitrag von "reiner" und "religiöser" Lieber sprichst), dann würde ich sagen: "So what?!" Was ich damit meine, ist folgendes: "Liebe" ist so ein spirituelles und mit Werten aufgeladenes Wort, dass manche Menschen dazu neigen, die allerhöchsten Ansprüche daran zu stellen. Und auch hier wieder: Das ist natürlich abhängig vom Welt- und Menschenbild, aber meins ist pragmatistisch, weltlich und leiblich. Ich würde argumentieren, die menschliche Welt ist "messy", sie ist fleischlich und hat ihre unschönen Seiten (sicherlich sehr viele davon) und damit gilt das gleiche für uns als Menschen. Wir müssen uns dann also die Frage stellen: Können wir den hohen Anspruch einer reinen, völlig selbstlosen, spirituellen und religiösen Liebe überhaupt erfüllen? Und falls nicht, wäre das so schlimm? Vielleicht reicht uns als leibliche, staubige, verwirrte und manchmal unschöne Menschen ja auch eine nicht-perfekte Liebe?
Verstehst du, was ich meine? Sorry, ich führe solche Diskussionen häufig mit Freund/innen, sodass wir schon auf eine bestimmte Art miteinander reden können, wo manche Sachen unerklärt bleiben können, weil sie schon vorher mal besprochen wurde. Aber mit dir/euch habe ich diesen Stand gemeinsamen Wissens natürlich noch nicht...
OCD-Marie hat geschrieben: ↑Do 8. Aug 2019, 17:22 Für andere hingegen ist Liebe kein Gefühl. Sondern eine Haltung.
Man unterstützt den Partner. Hilft ihm, wenn er Hilfe benötig. Möchte, dass es ihm gut geht. Dass er sein Leben so leben kann, wie er möchte. Dass er im Rahmen seiner kostbaren Lebenszeit so glücklich wird, wie es eben möglich ist. Dies beinhalten auch, den Partner nicht einzuschränken - sondern ihn zu unterstützen, dass er sich möglichst frei entfalten kann.
Das "Problem" dürfte nun schon recht offensichtlich sein: Dieser Begriff von Liebe ist unvereinbar mit dem Zwang. Denn der Zwang ist nichts anderes als eine egoistische Terrorherrschaft. Der andere soll sich ihm möglichst bedingungslos unterorden. Den "Regeln" folgen usw. Und wehe, er tut es nicht. Dann gibts aber Zoff !!!
Doch das verursacht Stress, Einschränkung, Hilflosigkeit, Wut - kurz: Unglücklichsein.
Wenn du mit "der andere" (der sich unterordnen soll), den/die Partner/in meinst, dann würde ich sagen: Wäre dann nicht der erste Schritt, einfach daran zu arbeiten, einen Kompromiss zu finden oder (im besten Fall/irgendwann) den/die Partner/in einfach nicht dazu zu bringen, sich unterzuordnen.
Und: Ist das wirklich eine Eigenheit, die nur auf den Zwang zutrifft? Könnte man das Gleiche nicht für bestimmte Lebenseinstellungen, Ansichten, vielleicht sogar Hobbys sagen? Und wenn ja, sollten diese Pärchen sich dann gleich trennen oder wäre nicht der erste Schritt, zu gucken, wie man damit umgeht?
Was "Stress, Einschränkung, Hilflosigkeit, Wut", "Unglücklichsein" angeht, würde ich sagen, auch das gehört zum Leben und sogar zu einer Beziehung. Sicher, in einem gewissen Rahmen und wenn dieser überschritten ist, sollte man auf jeden Fall über eine mögliche Trennung kommunizieren, aber nur wegen ein bisschen negativer Gefühle gleich die Beziehung und die Liebe hinschmeißen? Ist es so ein schöner Begriff wie "Liebe" nicht wert, ein bisschen dafür zu kämpfen?
Weißt du was, bei einer neuen Beziehung würde ich mich sogar versöhnlich zeigen und sagen "Okay, warum nicht Nein sagen, bis man sein eigenes Leben soweit unter Kontrolle hat, wie man möchte" - da sind noch keine großen Gefühle involviert (Ich glaube nicht unbedingt an die große Liebe auf den ersten Blick). Aber bei einer bestehenden Beziehung sieht das eben anders aus. Da sind (hoffentlich ) große Gefühle involviert, die dann verletzt werden, auch bei dem/der Partner/in. Und vielleicht findet der/die Partner/in es ja gar nicht besser, wenn mit ihnen Schluss gemacht wird? Vielleicht ist deren Liebe so groß, dass sie der Meinung sind "das bisschen Zwang" übersteht die locker...
Auch dem Ansatz würde ich per se gar nicht widersprechen, sehe aber wieder das Problem: Wer entscheidet, was "halbwegs im Griff haben" bedeutet, also wo die Schmerzgrenze liegt?
So, langer Post.
Ich glaube zusammengefasst kann man meine Meinung so lesen: Liebe muss nicht rein und unkompliziert und perfekt sein, weil wir es auch nicht sind. Wichtig ist, auf respektvoller Basis zu kommunizieren und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden und nicht die (vermeintlich beste) Lösung für jemand anders treffen zu wollen. Das das wäre meiner Ansicht dasjenige, was in einer Liebe nichts zu suchen hat!