Ehe zerbricht unter Zwängen

Kämpferin

Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von Kämpferin »

So, mal gucken, ob ich das mit dem Zitieren hier gescheit hinkriege :D
OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Hallo !

(...)

Allerdings sind in deinem kurzen Abschnitt gleich mehrere Punkte enthalten, die man sich gesondert anschauen sollte.

Wir können nichts für die Zwänge ?

Meiner Meinung nach (und auch meiner Erfahrung nach) erschaffen wir die Zwänge selbst. Das kommt nicht von außen. Wir sind also durchaus dafür verantwortlich - und "können" somit auch etwas dafür. Aber das ist ein ganz eigenes Thema.


Das sehe ich anders, aber letztendlich ist das eine sehr philosophische Frage, die viel mit Menschenbild, Körper-und-Geist-Frage etc. zusammenhängt. Ich bin in diesem Zusammenhang eher szientistisch geneigt und würde dir auf dieser Grundlage (zumindest in großen Teilen) widersprechen. Denn das aktuelle Bild von Zwangsstörungen in der Wissenschaft ist ja, dass diese durchaus körperliche (hormonelle und/oder neurostrukturelle) Ursachen hat und ich persönlich zumindest fühle mich nicht verantwortlich dafür, dass mein Gehirn es nicht schafft, ordentlich zu arbeiten. Ich fühle mich (die Diskussion gabs ja an anderer Stelle auch schon) verantwortlich dafür, wie ich mit den Unzulänglichkeiten meines Gehirns umgehe (ob ich mir Hilfe suche, ob ich meine Übungen mache, ob ich daran arbeite etc.), aber für die Struktur meines Gehirns? Habe ich darauf überhaupt genug Einfluss, um mich da irgendwie verantwortlich zu fühlen?
Und wird das Fehlen meiner eigenen Entscheidung und Verantwortlichkeit nicht schon am Namen Zwangsstörung deutlich? Immerhin bedeutet "Zwang" schon rein konzeptuell die Abwesenheit von Entscheidungsmöglichkeit.
Natürlich ist die Frage nach Verantwortlichkeit gerade bei psychischen Erkrankungen eine sehr alte und viel diskutierte, aber ich wurde argumentieren, dass es nicht von ungefähr kommt, dass man von "Erkrankungen" spricht und die körperliche Komponente des Ganzen betont. Neben (meiner Ansicht nach) dem wissenschaftlichen Fortschritt steckt da nämlich durchaus eine "politische" Komponente mit drin, die ich voll und ganz unterstütze, nämlich der Abbau von Stigmata. Denn wenn ich "etwas dafür" kann, wäre dann nicht eine völlig logisch Antwort, ich "müsse mich einfach nur ein bisschen zusammenreißen und dann ginge das schon wieder"?
OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Das wäre total schrecklich ?
Wirklich ? Der Punkt ist, ob etwas "schrecklich" ist oder nicht - das bestimmst ganz allein du selbst. Indem du etwas als "schrecklich" bewertest.
Was wäre, wenn du aus Liebe zu deinem Partner darauf verzichtest ? Das ist im Prinzip die Frage, die Silvia gestellt hat. Dann ist es nicht "schrecklich", sondern deine eigen Entscheidung.

Alleine sein vs. Einsamkeit ?
"Alleine sein" und "einsam sein" ist nicht das Selbe !
Man kann durchaus alleine sein, ohne einsam zu sein. Einsamkeit drückt Leiden aus. Wer einsam ist, der will nicht alleine sein. Aus welchem Grund auch immer.


Da hast du völlig recht. Auch hier kann ich nur auf Grundlage meines Menschenbildes argumentieren, das besagt, dass Menschen durch und durck soziale Kreaturen sind, denen eine Abwesenheit von Nähe und Intimität fehlen würde. Sicherlich gibt es Ausnahmen davon, aber die würden dann ja nicht "wegen des Zwangs" keine Beziehungen eingehen, sondern weil sie ohnehin keine eingehen wollen. Zu dem "aus Liebe zu meinem Partner" habe ich ja schon recht ausführlich geantwortet. Darüber hinaus gebe ich Yorge (?) recht (wenn ich die Beiträge richtig in Erinnerung habe und dem/r richtigen Schreiber/in zuordne) und würde auch argumentieren, dass, wenn ich wegen meiner Zwangsstörung für meinen Partner mit ihm Schluss mache, das auf nichts anderem gewachsen ist als dem Zwang. Interessant fände ich an dieser Stelle übrigens, was so die einzelnen Therapeut/innen dazu sagen würden, wenn ihre Patient/innen ihnen erzählen würde, sie hätten mit dem/r Partner/in Schluss gemacht, weil das für die besser wäre... :?:


OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Zur "Genesungsgrenze"...
Ja, ich bin in der Tat der Meinung, dass es für Zwängler (und deren potentiellen Partner) ab einem gewissen "Stadium" tatsächlich besser wäre, keine Beziehung mehr zu führen. Denn die Partner leiden mitunter auch sehr darunter.


Nur, wo ist dieses "Stadium" und wer entscheidet, ob dieses Stadium erreicht ist?

OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Es stellt sich ohnehin die ganz grundsätzliche Frage: Sind Zwang und Liebe wirklich miteinander vereinbar ?
Ich finde, nein. Beide könnten gegensätzlicher nicht sein. Sie sind wie Feuer und Wasser.

Dazu muss man sich vielleicht erst einmal anschauen, was Menschen unter "Liebe" verstehen. Manche Menschen sprechen von "Liebe", wenn sie starkte Gefühle für einen anderen Menschen empfinden. Doch zum einen sind Gefühle vergänglich - sodass sich nicht wenige früher oder später fragen, wo denn die "Liebe" hin sei...
Und zum anderen, was steht hinter diesen starken Gefühlen ? Manche sind glücklich, dass sich jemand für sie interessiert. Dass sie nicht mehr alleine sind. Dass sie es "wert" sind, geliebt zu werden. Manche wollen begehrt werden. Andere das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Wieder andere wollen (vor allem Frauen), dass der Partner ihnen das Gefühl gibt, etwas besonderes zu sein...
Manchmal ist es auch eine Art von Sucht, ein Anklammern an den Partner, das starke Gefühle verursacht. Hier stehen Verlustängste im Vordergund.
Die Aufzählung liese sich sicher noch verlänger.


Kurzer Einwurf, damit wir ein gemeinsames Wissen darüber haben, wovon wir reden, wenn wir "Liebe" sagen: Obwohl ich sagen würde, dass alle Komponenten, die du aufzählst, sicherlich zur Liebe, wie sie nun mal ist (-> ich schreib dazu unten gleich noch was), mit dazu gehören, würde ich keine davon in ihrer Reinform als "Liebe" bezeichnen. Erstere ist "Verliebtheit", alles andere ist schlicht das, was du beschreibst.
OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Doch allen gemein ist eines: sie sind selbstbezogen.
Die meisten Menschen wollen nicht lieben - sie wollen geliebt werden. Doch wie soll so etwas funktionieren ? Ich meine, wenn "alle" erst einmal geliebt werden wollen, wer liebt dann noch ?


Wenn du das sehr "weltlich" meinst, finde ich das eine ganz schön generalisierte Aussage, für die ich erstmal einen Beweis von dir fordern würde ;)

Wenn du das eher "metaphysisch" meinst (was ich fast ein bisschen denke, weil du in einem anderen Beitrag von "reiner" und "religiöser" Lieber sprichst), dann würde ich sagen: "So what?!" Was ich damit meine, ist folgendes: "Liebe" ist so ein spirituelles und mit Werten aufgeladenes Wort, dass manche Menschen dazu neigen, die allerhöchsten Ansprüche daran zu stellen. Und auch hier wieder: Das ist natürlich abhängig vom Welt- und Menschenbild, aber meins ist pragmatistisch, weltlich und leiblich. Ich würde argumentieren, die menschliche Welt ist "messy", sie ist fleischlich und hat ihre unschönen Seiten (sicherlich sehr viele davon) und damit gilt das gleiche für uns als Menschen. Wir müssen uns dann also die Frage stellen: Können wir den hohen Anspruch einer reinen, völlig selbstlosen, spirituellen und religiösen Liebe überhaupt erfüllen? Und falls nicht, wäre das so schlimm? Vielleicht reicht uns als leibliche, staubige, verwirrte und manchmal unschöne Menschen ja auch eine nicht-perfekte Liebe?

Verstehst du, was ich meine? Sorry, ich führe solche Diskussionen häufig mit Freund/innen, sodass wir schon auf eine bestimmte Art miteinander reden können, wo manche Sachen unerklärt bleiben können, weil sie schon vorher mal besprochen wurde. Aber mit dir/euch habe ich diesen Stand gemeinsamen Wissens natürlich noch nicht...
OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Für andere hingegen ist Liebe kein Gefühl. Sondern eine Haltung.
Man unterstützt den Partner. Hilft ihm, wenn er Hilfe benötig. Möchte, dass es ihm gut geht. Dass er sein Leben so leben kann, wie er möchte. Dass er im Rahmen seiner kostbaren Lebenszeit so glücklich wird, wie es eben möglich ist. Dies beinhalten auch, den Partner nicht einzuschränken - sondern ihn zu unterstützen, dass er sich möglichst frei entfalten kann.

Das "Problem" dürfte nun schon recht offensichtlich sein: Dieser Begriff von Liebe ist unvereinbar mit dem Zwang. Denn der Zwang ist nichts anderes als eine egoistische Terrorherrschaft. Der andere soll sich ihm möglichst bedingungslos unterorden. Den "Regeln" folgen usw. Und wehe, er tut es nicht. Dann gibts aber Zoff !!!
Doch das verursacht Stress, Einschränkung, Hilflosigkeit, Wut - kurz: Unglücklichsein.


Wenn du mit "der andere" (der sich unterordnen soll), den/die Partner/in meinst, dann würde ich sagen: Wäre dann nicht der erste Schritt, einfach daran zu arbeiten, einen Kompromiss zu finden oder (im besten Fall/irgendwann) den/die Partner/in einfach nicht dazu zu bringen, sich unterzuordnen.
Und: Ist das wirklich eine Eigenheit, die nur auf den Zwang zutrifft? Könnte man das Gleiche nicht für bestimmte Lebenseinstellungen, Ansichten, vielleicht sogar Hobbys sagen? Und wenn ja, sollten diese Pärchen sich dann gleich trennen oder wäre nicht der erste Schritt, zu gucken, wie man damit umgeht?
Was "Stress, Einschränkung, Hilflosigkeit, Wut", "Unglücklichsein" angeht, würde ich sagen, auch das gehört zum Leben und sogar zu einer Beziehung. Sicher, in einem gewissen Rahmen und wenn dieser überschritten ist, sollte man auf jeden Fall über eine mögliche Trennung kommunizieren, aber nur wegen ein bisschen negativer Gefühle gleich die Beziehung und die Liebe hinschmeißen? Ist es so ein schöner Begriff wie "Liebe" nicht wert, ein bisschen dafür zu kämpfen?


OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Ich finde, es wäre daher ein Akt der Liebe, in einer solchen Sitation den Partner frei zu geben bzw. mit einem potentiellen (neuen) Partner keine neue Bindung einzugehen.

Weißt du was, bei einer neuen Beziehung würde ich mich sogar versöhnlich zeigen und sagen "Okay, warum nicht Nein sagen, bis man sein eigenes Leben soweit unter Kontrolle hat, wie man möchte" - da sind noch keine großen Gefühle involviert (Ich glaube nicht unbedingt an die große Liebe auf den ersten Blick). Aber bei einer bestehenden Beziehung sieht das eben anders aus. Da sind (hoffentlich :D) große Gefühle involviert, die dann verletzt werden, auch bei dem/der Partner/in. Und vielleicht findet der/die Partner/in es ja gar nicht besser, wenn mit ihnen Schluss gemacht wird? Vielleicht ist deren Liebe so groß, dass sie der Meinung sind "das bisschen Zwang" übersteht die locker...

OCD-Marie hat geschrieben: Do 8. Aug 2019, 17:22 Zumindest solange, bis man den Zwang halbwegs im Griff hat - und nicht der Zwang einen selbst noch "im Griff" hat.

Auch dem Ansatz würde ich per se gar nicht widersprechen, sehe aber wieder das Problem: Wer entscheidet, was "halbwegs im Griff haben" bedeutet, also wo die Schmerzgrenze liegt?


So, langer Post.
Ich glaube zusammengefasst kann man meine Meinung so lesen: Liebe muss nicht rein und unkompliziert und perfekt sein, weil wir es auch nicht sind. Wichtig ist, auf respektvoller Basis zu kommunizieren und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden und nicht die (vermeintlich beste) Lösung für jemand anders treffen zu wollen. Das das wäre meiner Ansicht dasjenige, was in einer Liebe nichts zu suchen hat!

:)
Kämpferin

Re: Liebe ist. - ...ja was denn eigentlich ?

Beitrag von Kämpferin »

OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 07:21 Dann ist ja auch schon die Frage, was du in diesem Zusammenhang als "eine Liebe" bezeichnest, gegen die du dich nicht entscheiden willst ?
Denn ich habe den Eindruck, du vermischst hier die Begriffe. Ich nehme an, du meinst damit den "gewöhnlichen" Begriff von Liebe. Nennen wir sie mal die "weltliche Liebe". Die starken Gefühle, das Bedürftige, das Anhaften, Anklammern, Haben-wollen... Das ist jedoch die "Liebe", die Leiden verursacht. Man spricht ja nicht umsonst von "liebeskrank", "liebestoll", oder auch "Mord aus (dann meist unerwiderter) Liebe".

Für mein Verständnis ist das überhaupt keine Liebe. Wenn man mal genau analysiert, welche Antriebe, welche Motive da dahinter stehen, dann ist das mitunter eher erbärmlich oder erschreckend, jedoch gewiss nicht erhebend.
Und das ist ganz sicher auch nicht der Begriff von Liebe, wie er in der Bibel verwendet und verstanden wird. Oder den anderen großen Weltreligionen.


Und hier bist du (zumindest was mich persönlich angeht) zu streng und zu schwarz-weiß. Warum ist "weltliche" Liebe nur "Anhaften, Anklammern, Haben-wollen" und warum gibt es da nur das Gegenstück der religiösen/spirituellen Liebe, die (wenn ich dich richtig verstehe) nichts davon hat? Warum kann weltliche Liebe nicht auch Unterstützen, Stärken Wollen, das Beste für den/die Partner/in Wünschen sein? Natürlich wäre es mir am liebsten, wenn mein Freund mit mir stark und glücklich wird, aber das muss ja nicht gleich pathologisch besitzergreifend und einengend werden :D

Und, wenn ich dich das mal ganz dreist fragen darf (du muss nicht antworten, wenn du nicht möchtest!): Macht dich deine strenge Auslegung von Liebe glücklich? Vermutlich ist das falsch gefragt, weil da der Egoismus ja wieder mit drin steckt, aber, wie oben gesagt: Ich bin ganz pragmatistisch, für mich ist der Mensch eine Kreatur, zu der (positive und negative) Leiblichkeit dazu gehört, ebenso wie Egoismus und Selbstbezogenheit, aber eben auch eine ganze Menge an Solidarität, Hilfsbereitschaft, Sozialität, Kooperativität und anderen schönen Sachen. Und weil ich weiß, dass es die letzteren gibt, kann ich die vorderen (natürlich in Maßen!) hinnehmen und ertragen, und deswegen finde ich eine "weltliche" Liebe total schön (und ausreichend), aber vor allem erreichbar. Und daher auch meine Frage: Ist dein religiöser/spiritueller Anspruch an Liebe überhaupt erreichbar? Und wenn nicht: Ist das nicht ganz fürchterlich frustrierend, zu wissen, dass man nie gut genug sein wird für diese Art der Liebe?

Würde mich freuen, mit dir da weiter drüber zu sprechen, aber wie gesagt: Nur, wenn du möchtest :)
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OCD-Marie
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Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Kämpferin,

nunja, das ist in der Tat eine seeeeeehhhhr lange Antwort geworden. Verzeihe daher bitte, wenn ich nicht auf jedes einzelne Detail eingehen werde(n kann).
Ich versuche es mal der Reihe deiner Beiträge nach....
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Ich bin in diesem Zusammenhang eher szientistisch geneigt
Szientismus kannte ich bis dato noch nicht. Eine kurze Wiki-Recherche hat jedoch ergeben, dass sich diese Sichtweise im Laufe der letzen 150 Jahren immer wieder nicht ganz unerheblicher Kritik ausgesetzt sah. Mit gutem Grund, wie ich meine.
Denn das Leben in seiner Gesamtheit ist mehr als nur Zahlen, Fakten, Regeln, Analysen, Statistiken. Die Grenzen dieser Herangehensweise lassen sich an einem einfachen Beispiel schnell erläutern:

Ein Apfel.

Du kannst einen Apfel mit wissenschaftlichen Methoden nach allen Regeln der Kunst analysieren. Nach Farbe, Größe, Gewicht. Du kannst ihn in die einzelnen Moleküle, Elemente, ja sogar Atome zerlegen. Kannst deren Menge und Verhältnisse bestimmen. Usw.
Aber egal was du auch tust. Eines wirst du damit niemals herausfinden. Wie er schmeckt. Dafür musst du hineinbeissen.

Du fragst auch an mehreren Stellen, wann bestimmte Kriterien erfüllt seien, wie bzw wer diese festlege und entscheide usw.
Weisst du, das ist das schöne an einem nicht rein wisssenschaftlichen sondern ganzheitlichen Ansatz. Manchmal spürt man einfach, wenn ein bestimmter Zeitpunkt erreicht ist. Man spürt, was stimmig ist und was nicht. Es gibt auch so etwas wie ein Körperbewusstsein. Damit meine ich nicht, dass man sich seines Körpers bewusst sei, sondern dass der Körper ein eigenes Bewusstsein hat, dass auch im Körper Informationen gespeichert sind. Da gibt es ganz interessante Geschichten. Z.B. wie Menschen nach einer Organtransplantation plötzlich bestimmte Vorlieben ändern.
Und wenn sich alles auf der organischen Ebene erklären liese, dann dürfte es so ein Phänomen wie die "Terminal Lucidity" gar nicht erst geben. Google das mal. Ist sehr interessant.

Was mich zum nächsten Punkt bringt:
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 aber für die Struktur meines Gehirns? Habe ich darauf überhaupt genug Einfluss, um mich da irgendwie verantwortlich zu fühlen?
Aber sehr wohl. Wissenschaftlich bewiesen. Dein Lebenswandel beeinfluss die Struktur deines Gehirns. Meditation verändert die Struktur deines Gehirns. Und Psychotherapie tut das auch. Der Geist ist eben kein reines Produkt der Organischen Substanz - er beeinflusst und verändert diese seinerseits auch.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Und wird das Fehlen meiner eigenen Entscheidung und Verantwortlichkeit nicht schon am Namen Zwangsstörung deutlich? Immerhin bedeutet "Zwang" schon rein konzeptuell die Abwesenheit von Entscheidungsmöglichkeit.
Keineswegs. Zwang bedeutet konzeptuell lediglich die Anwesenheit von starkem Druck. Nicht die Abwesenheit von Entscheidungsmöglichkeit. Tatsächlich triffst du da immer wieder jede Menge Entscheidungen.
Wenn dir ein Räuber die Pistole vors Gesicht hält und sagt "Geld oder Leben !?". Du bist weiterhin frei in deiner Entscheidung. Du kannst dich auch für die Kugel und gegen das Nachgeben entscheiden. Aber du wirst dich gezwungen fühlen, das Geld herauszugeben. Tatsächlich ist und bleibt es jedoch (d)eine Entscheidung.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Denn wenn ich "etwas dafür" kann, wäre dann nicht eine völlig logisch Antwort, ich "müsse mich einfach nur ein bisschen zusammenreißen und dann ginge das schon wieder"?
Nein. Das wäre eine sehr oberflächliche Betrachtung.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 und würde auch argumentieren, dass, wenn ich wegen meiner Zwangsstörung für meinen Partner mit ihm Schluss mache, das auf nichts anderem gewachsen ist als dem Zwang. Interessant fände ich an dieser Stelle übrigens, was so die einzelnen Therapeut/innen dazu sagen würden, wenn ihre Patient/innen ihnen erzählen würde, sie hätten mit dem/r Partner/in Schluss gemacht, weil das für die besser wäre... :?:
Mit welcher Begründung ?
Vielleicht hätte der Therapeut ja auch großen Respekt vor einer solchen Entscheidung. Denn das verlangt auch eine ordentliche Portion Mut. Es ist viel einfacher und bequemer, alles so zu lassen, wie es ist.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Vielleicht reicht uns als leibliche, staubige, verwirrte und manchmal unschöne Menschen ja auch eine nicht-perfekte Liebe?
Wenn dem so wäre, würde es die Religionen nicht geben. Dann würden sich die Menschen nicht seit Jahrtausenden mit ihrem Leiden beschäftigen und nach Auswegen daraus suchen. Denn die "nicht-perfekte Liebe" bedeutet genau das: Leiden.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Wenn du mit "der andere" (der sich unterordnen soll), den/die Partner/in meinst, dann würde ich sagen: Wäre dann nicht der erste Schritt, einfach daran zu arbeiten, einen Kompromiss zu finden oder (im besten Fall/irgendwann) den/die Partner/in einfach nicht dazu zu bringen, sich unterzuordnen. [...]
Was "Stress, Einschränkung, Hilflosigkeit, Wut", "Unglücklichsein" angeht, würde ich sagen, auch das gehört zum Leben und sogar zu einer Beziehung. Sicher, in einem gewissen Rahmen und wenn dieser überschritten ist, sollte man auf jeden Fall über eine mögliche Trennung kommunizieren, aber nur wegen ein bisschen negativer Gefühle gleich die Beziehung und die Liebe hinschmeißen? Ist es so ein schöner Begriff wie "Liebe" nicht wert, ein bisschen dafür zu kämpfen?
An der Stelle habe ich mich gefragt, wie gut du dich eigentlich mit Zwängen auskennst. Wir reden hier ja nicht über ein bisschen gelegentliches Zwängeln. Wir reden hier über starkt ausgeprägtes Zwangsverhalten, welches auch einen erheblichen (negativen) Einfluss auf das Umfeld hat. Und Zwängler in diesem Stadium neigen nicht mehr gerade zu Kompromissbereitschaft. Da geht es längst nicht mehr nur um "ein bisschen negativer Gefühle" !
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Aber bei einer bestehenden Beziehung sieht das eben anders aus. Da sind (hoffentlich :D) große Gefühle involviert, die dann verletzt werden, auch bei dem/der Partner/in. Und vielleicht findet der/die Partner/in es ja gar nicht besser, wenn mit ihnen Schluss gemacht wird? Vielleicht ist deren Liebe so groß, dass sie der Meinung sind "das bisschen Zwang" übersteht die locker...
Na, frag mal Paare, die ein paar Jahre zusammen sind nach diesen "großen Gefühlen" ! Ich sage nicht, dass es die nicht gibt. Aber ich fürchte, du wirst suchen müssen...
Und ja, vielleicht glauben sie, dass sie das "bisschen Zwang" locker überstehen. Nur auf welcher Basis geschieht dies ? Haben die wirklich einen realistischen Blick auf die Situation ?
Manche sind vielleicht sogar froh, wenn der Betroffene diesen Schritt macht und sich trennt. Ganz einfach, weil sie mit der Situation längst überfordert sind, sich aber z.B. aus falsch verstandener Loyalität nicht trauen, den Betroffenen zu verlassen. Ich meine, wie sähe das denn nach außen hin auch aus ?
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 12:00 Warum kann weltliche Liebe nicht auch Unterstützen, Stärken Wollen, das Beste für den/die Partner/in Wünschen sein?
Natürlich kann sie das. Das Problem ist nur: wo liegt der Schwerpunkt.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 12:00 Und daher auch meine Frage: Ist dein religiöser/spiritueller Anspruch an Liebe überhaupt erreichbar? Und wenn nicht: Ist das nicht ganz fürchterlich frustrierend, zu wissen, dass man nie gut genug sein wird für diese Art der Liebe?
In ihrer Reinform ist sie wohl nicht erreichbar, ganz einfach, weil jeder das mit sich herumträgt, was wir Ego nennen.
Und nein, das ist überhaupt nicht frustrierend. In Asien sagt man: Auch wenn du den Mond nicht erreichen kannst - so kannst du dich doch immer wieder an ihm orientieren.
Ulrike
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Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von Ulrike »

Ich gehe jetzt gerade nicht auf die letzten Beiträge ein. Ich muss jetzt gerade mal intensive Schuldgefühle rausschreiben und hoffe dass es mir dann wieder besser geht. Das was mich gerade bewegt passt aber ziemlich in den Inhalt dieses Threads und zum Eingangssbeitrag.

Ich bin selbst zwangskrank. Mein letzter Partner, den ich sehr geliebt habe, war es auch, wie sich im Laufe unserer gemeinsamen Geschichte herausstellte. Aber unsere Zwänge waren so verschieden, dass wir uns nicht in die "Quere" kamen. Ich habe mit Kontaminationsängsten, Krankheitsängsten und noch anderen Zwangsthemen zu tun. Mein ehemaliger Partner hat große Probleme Papier und andere Dinge zu entsorgen. Seine Wohnsituation spiegelt das wieder. Als ich das alles mitbekam waren wir schon zusammen. Für mich ist es kein Problem Dinge Papier zu entsorgen und Strukturen in Wohnungen herzustellen und zu halten.

Ich habe mich/ wir haben uns mit seiner und meiner Störung "arrangiert". Wir lebten bei mir und tagsüber war er in seiner Wohnung und lebte dort mit seinen Zwängen. Ich durfte zwar hinkommen. Aber gemeinsam aufräumen ging nicht. Da ist er in riesige Spannungszustände gekommen. Eine ambulante Therapie für ihn wurde von Seiten der Therapeutin abgebrochen, weil sie sagte, dass die Veränderungsmotivation bei ihm nicht reicht. Und dass er intensivere Therapie braucht. Den Einweisungsschein hat er sich noch geholt, aber er ist dann nicht hingegangen.

Ich wollte und konnte die Partnerschaft dann ab einem bestimmten Punkt nicht mehr leben. Dafür sorgten Zwänge, die sich dann bei mir einstellten und auf seine Person bezogen. Dann ging bei mir gar nichts mehr und es blieb nur noch die Trennung.

Das ist die Vorgeschichte. Was jetzt in die derzeitige Diskussion passt ist der Punkt: Ich habe vorhin mit ihm, seit längerer Zeit mal wieder telefoniert. Und ich habe jetzt solche Schuldgefühle weil ich gespürt habe, wie schlecht es ihm geht. Ich habe gerade einen Aufwärtstrend und das Gefühl, auf einem guten Weg zu sein. Es ist so schwer, einen kranken Menschen zurück zu lassen und ihm die volle Verantwortung für seine Situation zu überlassen.

Ich wollte das einfach mal rausschreiben.

Vielleicht wird es jetzt ein bisschen besser...
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OCD-Marie
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Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Ulrike

umso wichtiger ist es, dir immer wieder vor Augen zu führen, dass du nicht schuld bist an seiner Situation. Ihr seid beide erwachsen. Und so wie er für sich selbst verantwortlich ist, bist du zuerst einmal für dich verantwortlich.
Du hast den für dich noch einzig verbliebenen Weg gewählt. Das ist in Ordnung so ! Denn alles andere, was du/ihr probiert habt, hat ja nicht funktioniert. Dein Zwang war dir in dieser Situation eine Hilfe. Er hat dir das gezeigt, vor dem du deine Augen verschlossen hattest: die Situation tut dir nicht gut !

Es ist seine Aufgabe, sein Leben "in Ordnung" zu bringen. Bleibe du ganz bei dir !

Liebe Grüsse
Marie
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Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von Sunshine »

OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39 ]
Na, frag mal Paare, die ein paar Jahre zusammen sind nach diesen "großen Gefühlen" ! Ich sage nicht, dass es die nicht gibt. Aber ich fürchte, du wirst suchen müssen...
Und ja, vielleicht glauben sie, dass sie das "bisschen Zwang" locker überstehen. Nur auf welcher Basis geschieht dies ? Haben die wirklich einen realistischen Blick auf die Situation ?
Manche sind vielleicht sogar froh, wenn der Betroffene diesen Schritt macht und sich trennt. Ganz einfach, weil sie mit der Situation längst überfordert sind, sich aber z.B. aus falsch verstandener Loyalität nicht trauen, den Betroffenen zu verlassen.
Das kann ich nach 15 Jahren Beziehung sogar bestätigen mit den "großen Gefühlen"... Dass mit dem "locker überstehen" allerdings eher nicht. Vlt hat dann nur einer diese Ansicht... jedenfalls nicht der Angehörige meiner Meinung nach. Ich glaube der Zwängler hat in solchen Situationen keinen realistischen Blick, leider. Und daher ist es oftmals vlt sogar dann die Pflicht des Angehörigen die Situation ehrlich zu beschreiben und dem Zwängler zu sagen wie es gerade aussieht und was geht und was vlt. nicht nicht MEHR geht.
Ich glaube das erwartet mich nun auch ... :?
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OCD-Marie
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Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Sunshine,

ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, so schnell wieder hier von dir zu lesen...

Läuft und entwickelt sich wohl doch nicht ganz so, wie du dachtest ?
Kämpferin

Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von Kämpferin »

Liebe Marie,
OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39 Hallo Kämpferin,

nunja, das ist in der Tat eine seeeeeehhhhr lange Antwort geworden. Verzeihe daher bitte, wenn ich nicht auf jedes einzelne Detail eingehen werde(n kann).
Ich versuche es mal der Reihe deiner Beiträge nach....
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Ich bin in diesem Zusammenhang eher szientistisch geneigt
Szientismus kannte ich bis dato noch nicht. Eine kurze Wiki-Recherche hat jedoch ergeben, dass sich diese Sichtweise im Laufe der letzen 150 Jahren immer wieder nicht ganz unerheblicher Kritik ausgesetzt sah. Mit gutem Grund, wie ich meine.
Denn das Leben in seiner Gesamtheit ist mehr als nur Zahlen, Fakten, Regeln, Analysen, Statistiken. Die Grenzen dieser Herangehensweise lassen sich an einem einfachen Beispiel schnell erläutern:

Ein Apfel.

Du kannst einen Apfel mit wissenschaftlichen Methoden nach allen Regeln der Kunst analysieren. Nach Farbe, Größe, Gewicht. Du kannst ihn in die einzelnen Moleküle, Elemente, ja sogar Atome zerlegen. Kannst deren Menge und Verhältnisse bestimmen. Usw.
Aber egal was du auch tust. Eines wirst du damit niemals herausfinden. Wie er schmeckt. Dafür musst du hineinbeissen.


Da würde ich dir völlig zustimmen. Allerdings würde ich diesen Abzweig der Diskussion vielleicht eher privat weiterführen (aber später, ich muss nämlich gleich mal weg), da Diskussionen über philosophische Theorien und Schulen vielleicht doch ein wenig zu weit vom Thema wegführen... :lol:

OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39 (...)

Was mich zum nächsten Punkt bringt:
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 aber für die Struktur meines Gehirns? Habe ich darauf überhaupt genug Einfluss, um mich da irgendwie verantwortlich zu fühlen?
Aber sehr wohl. Wissenschaftlich bewiesen. Dein Lebenswandel beeinfluss die Struktur deines Gehirns. Meditation verändert die Struktur deines Gehirns. Und Psychotherapie tut das auch. Der Geist ist eben kein reines Produkt der Organischen Substanz - er beeinflusst und verändert diese seinerseits auch.
Da hast du natürlich recht. Aber die Beispiele, die du anbringst, sind ja wiederum nur eine "Reaktion" auf die bereits "gestörte" Hirnstruktur. Die Frage bleibt also bestehen: Wann habe ich mich für diese entschieden? (Besonders in Hinblick auf die wissenschaftliche Sicht, dass genetische Prädispositionen für Zwangsstörungen erbbar sein könnten)
OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Und wird das Fehlen meiner eigenen Entscheidung und Verantwortlichkeit nicht schon am Namen Zwangsstörung deutlich? Immerhin bedeutet "Zwang" schon rein konzeptuell die Abwesenheit von Entscheidungsmöglichkeit.
Keineswegs. Zwang bedeutet konzeptuell lediglich die Anwesenheit von starkem Druck. Nicht die Abwesenheit von Entscheidungsmöglichkeit. Tatsächlich triffst du da immer wieder jede Menge Entscheidungen.
Wenn dir ein Räuber die Pistole vors Gesicht hält und sagt "Geld oder Leben !?". Du bist weiterhin frei in deiner Entscheidung. Du kannst dich auch für die Kugel und gegen das Nachgeben entscheiden. Aber du wirst dich gezwungen fühlen, das Geld herauszugeben. Tatsächlich ist und bleibt es jedoch (d)eine Entscheidung.
Mir scheint es, als hätten wir ganz grundlegend unterschiedliche Ansichten, durch die wir wahrscheinlich nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden, denn ich würde in dieser Situation ganz klar "Nein!" sagen. Wenn mir jemand eine Waffe vor's Gesicht hält, habe ich (in der Lebenswirklichkeit) keine Entscheidungsmöglichkeit, da die "Entscheidung" "Leben" (also in dem Beispiel die Aufgabe dessen zugunsten des Geldes) nichts ist, was man in der Wirklichkeit jemandem als tatsächliche Entscheidungsmöglichkeit verkaufen kann. Und darauf beruht ja auch die ganze Situation: Der/die Räuber/in hat ja gar nicht die Absicht, dich umzubringen (wenn wir mal davon ausgehen, dass die Aufforderung "Geld oder Leben" ernst gemeint ist und der/die Räuber/in nicht eh von vornherein die Absicht hatte, dich umzubringen, nachdem du das Geld herausgegeben hast), sondern hat die Absicht, dein Geld zu erhalten und gibt dir deswegen eine Scheinoption in der (völlig berechtigten Annahme), dass du diese mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht "wählen" wirst.
OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 und würde auch argumentieren, dass, wenn ich wegen meiner Zwangsstörung für meinen Partner mit ihm Schluss mache, das auf nichts anderem gewachsen ist als dem Zwang. Interessant fände ich an dieser Stelle übrigens, was so die einzelnen Therapeut/innen dazu sagen würden, wenn ihre Patient/innen ihnen erzählen würde, sie hätten mit dem/r Partner/in Schluss gemacht, weil das für die besser wäre... :?:
Mit welcher Begründung ?
Vielleicht hätte der Therapeut ja auch großen Respekt vor einer solchen Entscheidung. Denn das verlangt auch eine ordentliche Portion Mut. Es ist viel einfacher und bequemer, alles so zu lassen, wie es ist.
Oder ist es viel einfacher und bequemer, die Beziehung aufzugeben, als in der und um die Beziehung zu kämpfen? Man könnte es ja auch so sehen: Durch eine Zwangserkrankung wird es in der Beziehung (zumindest vorübergehend und/oder immer mal wieder) unangenehm (das hast du ja selber auch so gesagt). Anstatt also nur gegen den Zwang zu kämpfen, kämpft man plötzlich "an zwei Fronten" (gegen den Zwang und (Achtung!) um die Beziehung) und das ist natürlich anstrengender. Da könnte man genauso gut argumentieren, dass es wesentlich einfacher und bequemer ist, einen Kampf davon aufzugeben...


OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39 An der Stelle habe ich mich gefragt, wie gut du dich eigentlich mit Zwängen auskennst. Wir reden hier ja nicht über ein bisschen gelegentliches Zwängeln. Wir reden hier über starkt ausgeprägtes Zwangsverhalten, welches auch einen erheblichen (negativen) Einfluss auf das Umfeld hat. Und Zwängler in diesem Stadium neigen nicht mehr gerade zu Kompromissbereitschaft. Da geht es längst nicht mehr nur um "ein bisschen negativer Gefühle" !


Dem kann ich tatsächlich nicht widersprechen. Laut den ganzen Tests in meiner Therapie habe ich "stark ausgeprägte Symptome", habe aber (gerade auch, seit ich hier im Forum) eigentlich schon das Gefühl, dass es mir viel besser geht als vielen anderen (vielleicht auch deswegen, weil ich das Glück hatte, recht früh auf den Trichter gekommen zu sein, dass ich eine Zwangsstörung haben könnte und mir quasi sofort Hilfe gesucht und selber recherchiert habe). Auf jeden Fall ist es bei mir so, dass ich durchaus noch zu "Kompromissen" bereit bin (vielleicht auch ermöglicht dadurch, dass mein Freund und ich nicht zusammen wohnen), z.B. dass wir uns bei ihm oder an einem dritten Ort treffen, damit ich "in Ruhe" meinen Wohnungsrundgang machen kann und er nicht eine halbe Stunde in der Tür stehen und auf mich warten muss.
OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 11:47 Aber bei einer bestehenden Beziehung sieht das eben anders aus. Da sind (hoffentlich :D) große Gefühle involviert, die dann verletzt werden, auch bei dem/der Partner/in. Und vielleicht findet der/die Partner/in es ja gar nicht besser, wenn mit ihnen Schluss gemacht wird? Vielleicht ist deren Liebe so groß, dass sie der Meinung sind "das bisschen Zwang" übersteht die locker...
Na, frag mal Paare, die ein paar Jahre zusammen sind nach diesen "großen Gefühlen" ! Ich sage nicht, dass es die nicht gibt. Aber ich fürchte, du wirst suchen müssen...


Naja, das kommt eben drauf an, was man mit "großen Gefühlen" meint. Ich meine eben nicht Schmetterlinge im Bauch und derartige Verliebtheit, sondern viel mehr sowas wie Vertrauen, Respekt, Angekommen sein, Zusammen sein wollen (als bewusste Entscheidung), etc. etc.; also diese "leisen" Gefühle, die (sowie ich informiert bin) von Wissenschaftler/innen auf diesem Gebiet auch mit Liebe (und nicht Verliebtheit) verbunden werden.
OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39 Und ja, vielleicht glauben sie, dass sie das "bisschen Zwang" locker überstehen. Nur auf welcher Basis geschieht dies ? Haben die wirklich einen realistischen Blick auf die Situation ?


Kann schon sein, aber auch hier stelle ich erneut meine Standard-Frage: Wer hat den? Wer kann für sich in Anspruch nehmen, die realistische und objektiv richtige Entscheidung zu treffen?
OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39 Manche sind vielleicht sogar froh, wenn der Betroffene diesen Schritt macht und sich trennt. Ganz einfach, weil sie mit der Situation längst überfordert sind, sich aber z.B. aus falsch verstandener Loyalität nicht trauen, den Betroffenen zu verlassen. Ich meine, wie sähe das denn nach außen hin auch aus ?


Aber manche eben auch nicht. Und genau da liegt doch der Kern der Sache: Über eine Situation, in die zwei Leute involviert sind (Ich gehe jetzt mal von einer kinderlosen Beziehung aus, weil du voll recht hast, dass Kinder das ganze noch viel komplizierter machen), sollte nicht eine Person alleine (vermeintlich) für beide die Entscheidung treffen. Denn wenn ich mir die Bedürfnisse der anderen Person nicht anhöre, kann ich (meiner Meinung nach) auch nicht beanspruchen, deren Bestes im Sinn zu haben. Deswegen braucht jede Beziehung (und umso mehr, je verzwickter die aktuelle Lebenssituation ist) offene und respektvolle Kommunikation.
Kämpferin

Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von Kämpferin »

Sunshine hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 14:39
OCD-Marie hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 13:39 ]
Na, frag mal Paare, die ein paar Jahre zusammen sind nach diesen "großen Gefühlen" ! Ich sage nicht, dass es die nicht gibt. Aber ich fürchte, du wirst suchen müssen...
Und ja, vielleicht glauben sie, dass sie das "bisschen Zwang" locker überstehen. Nur auf welcher Basis geschieht dies ? Haben die wirklich einen realistischen Blick auf die Situation ?
Manche sind vielleicht sogar froh, wenn der Betroffene diesen Schritt macht und sich trennt. Ganz einfach, weil sie mit der Situation längst überfordert sind, sich aber z.B. aus falsch verstandener Loyalität nicht trauen, den Betroffenen zu verlassen.
Das kann ich nach 15 Jahren Beziehung sogar bestätigen mit den "großen Gefühlen"... Dass mit dem "locker überstehen" allerdings eher nicht. Vlt hat dann nur einer diese Ansicht... jedenfalls nicht der Angehörige meiner Meinung nach. Ich glaube der Zwängler hat in solchen Situationen keinen realistischen Blick, leider. Und daher ist es oftmals vlt sogar dann die Pflicht des Angehörigen die Situation ehrlich zu beschreiben und dem Zwängler zu sagen wie es gerade aussieht und was geht und was vlt. nicht nicht MEHR geht.
Ich glaube das erwartet mich nun auch ... :?
Liebe(r?) Sunshine,

das tut mir leid, dass du das Gefühl hast, dass dich so eine Situation erwarten könnte. Das ist sicherlich ganz fürchterlich. :(
Ich drück dir die Daumen, dass ihr den für euch beide besten Weg findet und damit dann auch gut leben könnt :)

Ansonsten stimme ich dir zu; den "Außen"-Blick (meinetwegen den realistischen, wenn ihr das Wort so unbedingt haben wollt :lol: ) muss/sollte der/die Partner/in kommunizieren, wenn der/die Betroffene das nicht mehr sehen kann (aber das ist wohl nicht nur bei Zwangserkrankungen so). Mir ging's ja vielmehr um die gegenteile Situation: Wenn der/die Erkrankte meint, besser entscheiden zu können, was für den/die Angehörige/n besser ist...
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Re: Ehe zerbricht unter Zwängen

Beitrag von OCD-Marie »

Hallo Kämpferin,

so, dann will ich mal versuchen zu antworten.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 15:11 Kämpferin hat geschrieben: ↑
aber für die Struktur meines Gehirns? Habe ich darauf überhaupt genug Einfluss, um mich da irgendwie verantwortlich zu fühlen?

Aber sehr wohl. Wissenschaftlich bewiesen. Dein Lebenswandel beeinfluss die Struktur deines Gehirns. Meditation verändert die Struktur deines Gehirns. Und Psychotherapie tut das auch. Der Geist ist eben kein reines Produkt der Organischen Substanz - er beeinflusst und verändert diese seinerseits auch.

Da hast du natürlich recht. Aber die Beispiele, die du anbringst, sind ja wiederum nur eine "Reaktion" auf die bereits "gestörte" Hirnstruktur. Die Frage bleibt also bestehen: Wann habe ich mich für diese entschieden? (Besonders in Hinblick auf die wissenschaftliche Sicht, dass genetische Prädispositionen für Zwangsstörungen erbbar sein könnten)
Eben. Genetische Prädispositionen sind nichts weiter als das: Prädispositionen. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, einen Zwang zu entwickeln. Mehr nicht. Jemand ohne diese Gene kann genauso einen Zwang entwickeln wie jemand mit. Denn Zwänge sind (abgesehen von wenigen Ausnahmen) Lern-Erfahrungen.
Der Anteil der Gene am "Gesamtgeschehen" liegt meines Wissens im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Man kann die Gene daher durchaus vernachlässigen...
Und immer wenn du lernst, ändert sich dein Gehirn. Irgendwann hast du "gelernt", dass Kontrollieren scheinbar hilft. Gegen die Ängste. Weil es dich beruhigt. Damals hast du dich zwar nicht für die "Gehirnstruktur" entschieden, wohl aber für das Verhalten, dass sie nach sich zieht. Nämlich zu kontrollieren statt die Angst auszuhalten.
Und mit jeder Wiederholung hat sich die neue "gestörte" Struktur verfestigt.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 15:11 Mir scheint es, als hätten wir ganz grundlegend unterschiedliche Ansichten, durch die wir wahrscheinlich nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden, denn ich würde in dieser Situation ganz klar "Nein!" sagen. Wenn mir jemand eine Waffe vor's Gesicht hält, habe ich (in der Lebenswirklichkeit) keine Entscheidungsmöglichkeit, da die "Entscheidung" "Leben" (also in dem Beispiel die Aufgabe dessen zugunsten des Geldes) nichts ist, was man in der Wirklichkeit jemandem als tatsächliche Entscheidungsmöglichkeit verkaufen kann. Und darauf beruht ja auch die ganze Situation: Der/die Räuber/in hat ja gar nicht die Absicht, dich umzubringen (wenn wir mal davon ausgehen, dass die Aufforderung "Geld oder Leben" ernst gemeint ist und der/die Räuber/in nicht eh von vornherein die Absicht hatte, dich umzubringen, nachdem du das Geld herausgegeben hast), sondern hat die Absicht, dein Geld zu erhalten und gibt dir deswegen eine Scheinoption in der (völlig berechtigten Annahme), dass du diese mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht "wählen" wirst.
So ? Ist das so ?
Und was, wenn der Räuber in jedem Fall dein Geld will ? Sei es nun mit deiner Hilfe oder über deine Leiche ? Das ist keine Scheinoption !
Zudem: Wichtig ist doch nur, wie dein Geist / Gehirn funktioniert. Ob du das nun jemandem "verkaufen" kannst oder nicht, spielt doch überhaupt keine Rolle.
Kämpferin hat geschrieben: Fr 9. Aug 2019, 15:11 Laut den ganzen Tests in meiner Therapie habe ich "stark ausgeprägte Symptome", habe aber (gerade auch, seit ich hier im Forum) eigentlich schon das Gefühl, dass es mir viel besser geht als vielen anderen (vielleicht auch deswegen, weil ich das Glück hatte, recht früh auf den Trichter gekommen zu sein, dass ich eine Zwangsstörung haben könnte und mir quasi sofort Hilfe gesucht und selber recherchiert habe). Auf jeden Fall ist es bei mir so, dass ich durchaus noch zu "Kompromissen" bereit bin (vielleicht auch ermöglicht dadurch, dass mein Freund und ich nicht zusammen wohnen), z.B. dass wir uns bei ihm oder an einem dritten Ort treffen, damit ich "in Ruhe" meinen Wohnungsrundgang machen kann und er nicht eine halbe Stunde in der Tür stehen und auf mich warten muss.
Wie praktisch für den Zwang, wenn der Freund die eigene Wohnung nicht betritt / betreten darf. Übrigens: warten muss dein Freund in jedem Fall !
Was ich auch nicht so ganz verstehe ist, wie die Aussage, du hättest "quasi sofort" Hilfe gesucht zusammenpasst mit deinem Vorstellungsbeitrag:
Kämpferin hat geschrieben: Mi 31. Jul 2019, 15:12 Ich war schon seit bestimmt 10 Jahren nicht mehr in einem Forum angemeldet - und bin, ehrlich gesagt, ein bisschen stolz auf mich, dass ich es jetzt wieder bin. Denn einer meiner Zwänge beschäftigt sich mit Internetsicherheit, dem Herumschwirren meiner Daten im (Internet-)Äther etc.
Ich hatte schon vor einigen Jahre eine Zeit, wo ich mich etwas darüber gewundert habe, dass ich so oft nach dem Herd, der Wohnungstür etc. gucken muss, aber einen richtigen *richtigen* Leidensdruck wegen meines Kontrollzwangs verspüre ich vor allem seit Anfang des Jahres. Jetzt bin ich seit einigen Wochen in ambulanter Therapie und übe auch alleine (in Absprache mit meiner Therapeutin und mit einem - wie ich finde - richtig guten Buch) das Verschieben meiner Zwänge, aber zur Zeit geht es mir leider trotzdem nicht so gut...
Schon gut 10 Jahre Vermeidungsverhalten im Bezug auf Internet und erst seit einigen Monaten in Therapie ? Also für mich ist das eher das Tempo einer lahmen Ente. ;-)
Ich meine, der "Durchschnitt" schafft´s immerhin in 7 Jahren zur Therapie...
Kann es sein, dass du dir deine Situation schönredest ? Dass es dir gar nicht so gut geht, wie du es wahrhaben möchtest ? Ich meine, die Testergebnisse sind ja objektiv. Ganz im Gegensatz zu einer persönlichen Einschätzung...

Und eines würde mich wirklich sehr interessieren: Du übst mit deiner Therapeutin das "Verschieben der Zwänge" ??? Was ist das denn ? Was macht ihr da ?
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