Was würde ein gesunder Mensch sagen?

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Clara99
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Registriert: Sa 21. Nov 2020, 18:25

Was würde ein gesunder Mensch sagen?

Beitrag von Clara99 »

Hallo ihr Lieben,
Seit ein paar Tagen bin ich gequält von einer Angst. Ich rätsel und wasche rund um die Uhr und meine Angst nimmt natürlich nur noch zu und nicht ab. Die Situation ist folgende: seit Mittwoch bin ich in einer Klinik. Ich habe hier alle Sachen, die mein Zwang braucht, mitgenommen (Handschuhe, Desinfektionsmittel, Tücher, etc.) Leider sind meine Allzwecktücher von Edeka ausgelaufen und haben meine Plastiktüte in meinem Koffer angegriffen. Die Tüte ist an sich eine einfache Plastiktüte von Only und ist pink, durch die Tücher hat sie ein ganz komisches Muster bekommen und orange abgefärbt. Es ging auch erstmal nicht von meinen Händen ab, es ist auch noch an anderen Sache , wie zum Beispiel am Kabel meiner elektrischen Zahnbürste. Von Plastikflächen geht es allerdings viel zu gut ab.
Meine Angst jedenfalls: zwangsgesteuert und übertrieben: ich denke die ganze Zeit, dass ich jemanden damit ausversehen vergiften könnte. Es ist gefühlt schon überall und ich habe Angst es überall rumzuschleppen, obwohl ich die Tüte und die Tücher weggeworfen habe. Was ist mit den anderen Sachen? Der Föhn? Alles? Was wenn ich mir in die Haare gefasst habe und es ist jetzt in meiner Bürste und ich streiche mir beim Essen durchs Haar und habe dann Gift von der Tüte und den Tüchern aufgrund der chemischen Reaktion an meinen Händen? Und verteile das und jemand bekommt es in den Mund und wird schwer krank oder bekommt früher Krebs und stirbt vorzeitig wegen mir. Diese Gedanken und Gefühle machen mir solche Angst.
Was würde ein gesunder Mensch sagen? Ich hab immer Angst dass es nur eine Rückversicherung ist nach der ich hier frage, aber ich will echt wissen, was andere Menschen machen würden. Wie handelt man normal? Wie fällt einem sowas nicht direkt als Katastrophe auf?

Kennt ihr das? Was würdet ihr sagen? Was hilft euch? Was ist realistisch? Danke für eure Antworten.

Liebe Grüße,
Clara
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SHG
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wer weiß?

Beitrag von SHG »

Du gibst dir ja die Antwort eigentlich selbst. Vertrau doch auf dich. Nimm es als Indikator, wenn du es hier rein schreibst -damit hast du es für dich ja schon entschieden, wo es eingeordnet gehört. Du musst nur noch lernen, auf die Rückversicherung von anderen zu verzichten - das würde den Zwang nur wieder aufrecht erhalten. Und vielleicht mache ich das, indem ich dir das hier schreibe auch. Aber, woher sollte ich es besser wissen, als du selbst. In Wahrheit ist es nämlich so, dass dir wsl. niemand zu 100% sagen kann ob nicht in deinen Befürchtungen eine klitzekleine Wahrheit steckt - dass es zwar extrem unwahrscheinlich sein wird, aber nicht ganz unmöglich, dass so etwas passieren könnte. Wir versichern uns bei anderen, weil wir Verantwortung abgeben wollen - uns vielleicht kurzfristig die Illusion holen, es ist alles gut, weil jemand anderer uns beruhigt hat. Um den Preis, dass wir uns abhängig von der Beruhigung durch andere machen (obwohl das auch mal sein darf - gleich wird man schon nicht süchtig..).
Es geht darum eine gewisse Unsicherheit lernen auszuhalten - nicht darum, auf keinen Fall Schuld am Leiden anderer zu sein. Denn auf eines kann man sich ziemlich sicher verlassen, eine Zwangsstörung ist nicht wohltuend - nicht für uns und auch nicht für unsere Mitmenschen.

Klar kann man auch daran Zweifeln, ob es eh sicher nur der Zwang ist - und nicht wirklich gefährlich (wobei wie gesagt, der Zwang ist auch nicht gerade gesund) - aber das ist ja das Spezielle an der Erkrankung: an allem kann man Zweifeln - zum Verzweifeln
Zuletzt geändert von SHG am Fr 4. Dez 2020, 21:41, insgesamt 1-mal geändert.
Alpha Centauri
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Re: Was würde ein gesunder Mensch sagen?

Beitrag von Alpha Centauri »

Einen quasi psychologischen Rat hast Du ja bereits erhalten.

Natürlich haben viele von uns ähnliche Gedanken. Wenn ich bspw. den Hund meiner Untermieter streichle, habe ich auch die Angst, ich könnte ja nun einen todbringenden Fuchsbandwurm verbreiten und habe mich auf mehreren Ebenen rückversichert, wie unwahrscheinlich das ist. Es stabilisiert die Krankheit, füttert den Zwang.
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SHG
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sicher keine Ruhe

Beitrag von SHG »

Das ist übrigens auch ein recht anschaulich beschriebenes Beispiel dafür, wie sich der Zwang selbst "Probleme" schafft. Und selbst wenn, das gelöst ist, wird er (oder ich mit Zwang) wieder was finden, was nicht passt - das ist ziemlich sicher.
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SHG
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In zwangloser Gesellschaft - zwangloser in Gesellschaft

Beitrag von SHG »

Das Zwanghafte ist schon eher etwas eigensinniges. Ich habe ein Gefühl, das ich nicht ertrage, ich kann diese Gewohnheit nicht lassen. Was das Normale ist - das ist mir dabei ziemlich egal. Das soll nicht heißen, dass das Normale immer das bessere sein muss -keineswegs. Es soll durchaus erlaubt, auch erwünscht sein, sich entschieden dafür entscheiden zu können nicht der Masse zu folgen. Aber, wenn ich merke, dass mir das, was ich extrem mache nicht gut tut und ich es eigentlich gar nicht machen will - sondern lieber normal machen möchte, aber mich nicht traue - dann sollte mir das möglich sein. Und wenn ich es alleine (noch) nicht schaffe, dann gerne mit anderen. Und, wenn ich gar nicht mehr weiß, was eigentlich normal wäre, dann kann ich mich ja mal offen mit anderen darüber austauschen
Es kann schon helfen, die Konzentration mal von mir selbst abzulenken - mal schauen, was so rundum mich los ist, neugierig zu sein was in anderen vorgeht, zu schauen, wie wir gemeinsam gut zurecht kommen.
Hermann1
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Re: Was würde ein gesunder Mensch sagen?

Beitrag von Hermann1 »

Hallo,

obwohl es nicht in unmittelbarem Zusammenhang steht:
Die Unsicherheit, sich selbst nicht sicher zu sein, verlangt fast immer nach dem Trost anderer, obwohl man selber genau weiß, was Fakt ist. So war ich heute wieder einmal nach 4 Monaten zur Krebsnachsorge beim Urologen. Die Nacht zuvor war schon entsprechend geprägt, zumal ich in gewisser Hinsicht ein wenig hypochondrisch bin. Bei der Untersuchung erklärte mir der Urologe sodann, daß alles soweit gut sei. Er holte jedoch dann noch aus und erklärte, daß je länger der Abstand von der OP, je geringer die Gefahr eines Wiederauflebens des Krebses sei. Und wenn, so könne man dies am besten am PSA-Wert erkennen. Sofern das der Fall sein sollte, zeigte er mir auf, daß dann mit einer Bestrahlung eine Behandlung möglich sei, um den Krebs zu bekämpfen. Wie gesagt, dies ist eine Option nach seiner Theorie.
Es geht mir nunmehr den ganzen Tag durch den Kopf, mir noch einmal Gewißheit zu holen, daß dies nicht aktuell der Fall ist, obwohl ich seine Aussage hier ja auch klar niederschreiben kann. Mein Zwang zweifelt dies jedoch an und macht mich mürbe und schlapp.
Man erkennt hier schon deutlich, daß wir Zwangsgestörten nicht ausreichend "abgrenzen" können zwischen Phantasie und Realität. Das ist oftmals sehr quälend.
Dass ich Jemanden nach dem Streicheln eines fremden Hundes mit dem Virus des Fuchsbandwurmes infizieren kann ist ebenso absurd und entspringt ausschließlich einer zwanghaft kranken Phantasie. Außerdem würde dich niemand hierfür zur Rechenschaft ziehen.
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SHG
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Re: Was würde ein gesunder Mensch sagen?

Beitrag von SHG »

Ganz zu viel sollte es ja nicht um die Zwangsinhalte gehen, aber es ist ja auch die Eingangsfrage dieses Threads, was denn normal sei und es ist ja auch ok 1-2,5x nachzufragen bei in der Hinsicht einigermaßen Gesunden.

Bzgl. Hund-Streicheln würde ich mal sagen, ist es durchaus normal solche Haustiere anzufassen ohne großartige Vorsichtsmaßnahmen - dann beim Heimkommen oder bevor man mit den Händen was isst, sich die Hände zu waschen, würde ich sagen gehört zum normalen hygienischen Verhalten. Man muss aber nicht dazwischen - bis man zum Händewaschen kommt - herumlaufen, wie ein Chirurg nach der sterilen Händedesinfektion am Weg zum OP-Tisch. Da kann man schon normal alles anfassen.
Ich persönlich habe keine Haustiere und fasse generell kaum Tiere absichtlich an, daher fehlt mir da auch etwas die Erfahrung. Ich habe jetzt aber auch nicht das Bedürfnis danach und denke mir derzeit auch nicht, dass mir das recht viel wert wäre. Kann aber schon auch sein, dass wenn ich es machen würde, ich dann merken würde, dass es mir was gibt.

Das beschriebene Gesundheitsthema ist natürlich schon recht speziell und vielleicht auch etwas heikel für eine öffentliche Diskussion - bzgl. der Inhalte/Diagnosen/Befunde. Normal, würde ich sagen, wäre es eine/n (evtl. auch mal einen 2ten) vertrauenswürdige/n Urologen/in zu haben und mit ihm/ihr (ich lasse das gendern jetzt - es gibt glaube ich etwas mehr männliche (aber bestimmt auch gute weibliche) daher ..) bespricht, wie man vorgeht bzgl. der Nachsorge - an welche Leitlinie man sich dabei orientiert.. und dann entscheidet man, was man tut. Wenn eine Entscheidung getroffen ist, bleibt man dabei, bis die nächste Untersuchung ansteht, außer es treten klare Symptome auf. Zu bedenken ist allerdings, dass es bei solchen Krankheiten gar nicht unbedingt eine EINdeutige Vorgehensweise gibt. Es besteht also eine gewisse Ungewissheit (die noch weiter erforscht wird) was nun tatsächlich das richtige Vorgehen ist. Und bevor das ganz klar ist, muss man selber (mit professioneller Unterstützung) entscheiden, wie man nun tut. Ich meine, das gibt es zu bedenken, wenn man sich mit Ungewissheiten schwer tut. Nicht, dass du meinst: eigentlich ist das für jedermann ganz klar, was zu tun ist und es gibt eine klare vernünftige Vorgehensweise und du meinst, nur du machst da wieder was Ungewisses daraus. Diese Ungewissheit - die vielleicht tatsächlich herrscht, zu spüren und anzuerkennen, ist ja durchaus nicht schlecht (vielleicht machen sich da eher diejenigen, die dabei ganz ohne Zweifeln sind, etwas vor). Ich hoffe es ist verständlich, wie ich es meine.

Da dies ein Forum zur Zwangserkrankung ist, möchte ich noch kurz darauf eingehen, welche Parallelen ich da auch dazu sehe. Auch da gibt es Leitlinien und spezialisierte Therapeuten. Und auch da ist es aber in Wahrheit gar nicht so eindeutig, was dem einzelnen tatsächlich auf lange Sicht, nachhaltig hilft. Im Video-Podcast mit Prof. Michael Rufer war das Thema, soweit ich mich erinnere, dass vielleicht die Verh.therapie sich für Zwangserkrankte so gut eignet, weil es was recht eindeutig strukturiertes ist und das der Persönlichkeit am ehesten entspricht. Deshalb bin ich schon etwas skeptisch, wenn die ERP als das einzig Wahre gehypt wird - vielleicht ist eben diese ganz EINdeutige Lösung, wonach Zwangserkrankte suchen. Soll natürlich nicht heißen, dass dies Betroffenen vorenthalten werden sollte. Mehr Vielfalt ist aber meine ich auch heilsam und anzustreben.
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