Ein Konstrukt, aber viele Ausprägungen

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murmeli
Beiträge: 3
Registriert: Mo 22. Feb 2021, 10:24

Ein Konstrukt, aber viele Ausprägungen

Beitrag von murmeli »

Hallo Zusammen,

ich bin schon länger stille Mitleserin des Forums und dachte mir, vielleicht ist es jetzt auch mal Zeit, hier um Rat zu fragen :)

Ich leide seit meiner Kindheit an Zwängen, jetzt bin ich 31. Damals war es auch ein Waschzwang, das ging aber irgendwann vorüber. Was blieb, sind Zwangsgedanken, und davon leider auch eine Menge. Im Prinzip geht es immer darum, dass ich am Ende Dinge nicht selbst entscheiden kann und Personen in meinem Umfeld enttäusche / verletze.

Mein letztes Beispiel: Ich war letztens bei einer Freundin und wir haben etwas Wein getrunken. Leider auch etwas viel, was aber definitiv nicht die Regel ist, eher die Ausnahme. Auf dem Nachhauseweg ging mein Handy aus meiner Tasche verloren, ein sehr netter Mensch hat mir einfach geholfen, das Handy zu suchen und ein Taxi zu rufen. Bis zum Abend des nächsten Tages war auch alles cool. Und dann, zack, hatte ich plötzlich im Kopf, dass ich mit dem Typen Sex hatte / ihn geküsst habe. Ich bin in einer sehr glücklichen Beziehung und mir wurde plötzlich so schlecht, ich hatte so ein schlechtes Gewissen und dachte, das wäre tatsächlich so gewesen. Da ich auch Wein getrunken hatte, dachte ich plötzlich, ich hätte einen totalen Filmriss. Sicher fehlen mir 1-2 Minuten, aber das kann einfach nicht fehlen. Und da dieser Gedanke sich dann so festgesetzt hat und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, hab ich dann auch schnell festgestellt, es ist Zwang.

Dabei ging es gar nicht darum, dass es eventuell passiert sein könnte, sondern einfach, dass ich meinen Freund nicht verdient habe und ich ein elendig schlechtes Gewissen habe. Das ist nicht neu, exakt den gleichen Gedanken hatte ich schon 100 Mal. Das lässt sich leider auch beliebig fortführen, dass ich Zwangsgedanken kriege, meist mit dem Ende, dass ich meinen Freund enttäusche / ich ihn nicht verdient habe.

Ich bin auch bereits in Therapie seit letztem Jahr, mich würde aber brennend interessieren, ob auch jemand so viele Zwangsgedanken hat. Ich weiß jetzt auch schon, sobald die nächste Situation kommt, dann kommt auch der nächste Gedanke und dieser hier ist wieder obsolet.

Freue mich auf Feedback und lieben Gruß
murmeli
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Ein Konstrukt, aber viele Ausprägungen

Beitrag von Jessi »

Hey !

Weißt du noch, was damals der entscheidende Aspekt war, dass dein Waschzwang verschwand ? Eventuell könnte dir dieses Vorgehen auch bei den Zwangsgedanken helfen.
Ich habe auch ausschließlich Zwangsgedanken, auch ähnliche wie du.
Sind die Themen denn wechselhaft oder bleibt es meist bei einer ähnlichen Thematik?

LG Jessi
murmeli
Beiträge: 3
Registriert: Mo 22. Feb 2021, 10:24

Re: Ein Konstrukt, aber viele Ausprägungen

Beitrag von murmeli »

Hi Jessi,

danke dir für deine Antwort. Waschzwang war vermutlich Exposition. Ich bin einfach von zu Hause weggezogen und die Gedanken waren dann weg (Studium etc. war wichtiger).

Die Grundthematik bleibt immer die Gleiche. Angst, meinen Freund zu enttäuschen, oder geliebte Menschen, für die die Zukunft verbauen, undundund. Die Ausprägungen sind dann aber immer unterschiedlich, bspw. ich könnte mich versehentlich mit HIV anstecken und das dann weitertragen.

Hast du ähnliche Gedanken? Bzw. auch ein Grundgerüst?

Grüße
murmeli
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Ein Konstrukt, aber viele Ausprägungen

Beitrag von Jessi »

Hey,

tatsächlich glaube ich, dass dies auch einen wichtigen Ansatz in der Therapie widerspiegelt. Man soll dem Zwang die Macht nehmen, es ist nur ein Gedanke und sobald man ihn links liegen lässt verblasst er von alleine. Den Fokus davon zu nehmen ist allerdings das Problem :lol: :roll:

Meine Gedanken sind sehr ähnlich. Ich grüble häufig über meine Gefühle an sich. Dies geht ebenfalls so weit, dass ich Angst habe meinen Gegenüber auszunutzen, zu verletzen oder seine Zeit und sein Vertrauen zu missbrauchen.

Zwangshandelungen habe ich, zum Glück, keine mehr. Die Zwangsgedanken sind allerdings ebenfalls sehr früh aufgetreten. In der Pubertät haben sie andere Themen aufgegriffen. Mir fällt es immernoch schwer konkret über die Inhalte zu sprechen.
Wie gehst du denn mit diesen Gedanken aktuell um ? Hast du schon Fortschritte gemacht?

LG Jessi
murmeli
Beiträge: 3
Registriert: Mo 22. Feb 2021, 10:24

Re: Ein Konstrukt, aber viele Ausprägungen

Beitrag von murmeli »

Hey Jessi,

ich hab verschiedene Konzepte für verschiedene Situationen. Bei aggressiven Zwangsgedanken hat mir Assoziationsspaltung sehr geholfen.
Bei solchen "lächerlichen" Gedanken mache ich mir seit der Therapie schnell bewusst, das hier ist ein Zwang. Das bin nicht ich. Autosuggestion hilft manchmal, aber auch einfach das Annehmen. Also quasi zulassen, weil so schlimm ists ja nicht :)

Mir hilft der Gedanke immer, ich bin jetzt gerade in keiner Gefahr, ich sitze hier, ich muss nichts tun.

Bei mir bin ich mir sehr sicher, dass es immer die gleichen Ausgangspunkte sind, nur eben mit verschiedenen Ausprägungen. Sind deine Gedanken auch auf solche Dinge fokussiert?

Wenn du dich austauschen magst, kannst du mich auch gern privat anschreiben.

Grüße
murmeli
Alpha Centauri
Beiträge: 35
Registriert: Di 17. Apr 2018, 19:21

Re: Ein Konstrukt, aber viele Ausprägungen

Beitrag von Alpha Centauri »

Hi!

Bei "Filmriss" etwas angestellt haben zu können, ist auch ein wiederkehrender Zwangsgedanke von mir, der mich extrem stark quält. Da ich aufgrund der starken Zwangsproblematik zwangsläufig ;) Dauersingle bin, steckt allerdings in meinem Fall eher die Sorge dahinter, ich könnte in solch konstruierten Situationen Kinder in die Welt gesetzt haben und sei nun verdammt, das nicht mehr aufklären zu können.

Einen schönen Gruß
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