Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Triangel
Beiträge: 23
Registriert: Mi 9. Dez 2020, 13:58

Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von Triangel »

Hi zusammen,

ich habe mich entschlossen, meine Gedankenkletten jetzt sehr aktiv anzugehen. :!:
Neben Therapie, Meditation, "Selfcare-Programm", Literatur, etc. möchte ich nun mit der Konfrontation "light" anfangen.

In dem Buch Tyrannen in meinem Kopf wird in einem Kapitel erklärt, dass es wichtig ist, sich mit den Situationen, die in einem negative Gefühle/Gedanken/Impulse auslösen, zu konfrontieren. Teilweise gehen die Autoren in einem Beispiel (glaub das war mal ein Patient von ihnen) sogar so weit zu sagen: Du hast Angst dich aus Versehen zu erhängen? Ok, hier ist dein Seil. Nimm es überall mit hin; Im Auto, in der Dusche, etc.
Mit dem Ziel, dass einem die Schlinge irgendwann egal ist und man von der Angst "geheilt" ist.

Wie steht ihr dazu? Habt ihr da Erfahrungswerte? Tipps, Tricks?

Ich fange jetzt so an, dass ich mir TV, Radio, etc. Beiträge jetzt bis zum Schluss anschaue gerade dann, wenn sie etwas in mir triggern. Früher bzw. bisher bin ich immer geflüchtet - habe den Beitrag ausgestellt, bin aufgestanden, habe mich abgelenkt.....

Viele Grüße
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von welltemperedmind »

Hi,

ich oute mich mal als großer Fan von Martin Seif, dem Autor von dem Buch "Tyrannen in meinem Kopf". Daher kann ich nur alles unterstützen, was er sagt, und bestätigen, dass es sehr gut hilft.

Als Ergänzung fand ich persönlich noch sehr, sehr unterstützend, eine akzeptierende Einstellung gegenüber seinen schlimmsten Befürchtungen zu bekommen, wie es Jonathan Grayson in seinem Buch dringend empfiehlt. Es geht nicht darum, dass man nun seine schlimmsten Befürchtungen in seinem Leben will oder man sie gutheißt - es geht darum, zu akzeptieren, nicht mehr dagegen anzukämpfen, sie um jeden Preis zu vermeiden.

Angenommen, ich habe also bspw. aggressive Zwangsgedanken und die schlimmste Befürchtung, dass ich meinem eigenen Kind etwas tue. Dann hilft auch keine Exposition und kein Abbau von Vermeidungen, wenn ich noch nicht akzeptiert habe, dass eine winzige Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser schlimme Fall eintreten kann. Ich kann es nicht zu hundert Prozent vermeiden. Und solange ich das nicht akzeptiere, werde ich immer wieder zu meinem zwanghaften Verhalten tendieren.

Gleichzeitig kann man sich auch mit seinen schlimmsten Befürchtungen sehr gut exponieren. Das schlägt ja auch Martin Seif vor (ich glaube aber nicht, in diesem Buch).

Viel Erfolg!
Jessi
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Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von Jessi »

Hey :)
Ich finde das Thema Konfrontation sehr schwierig. Ich weiß, dass es sehr gute Erfolge mit sich bringen kann und ein bedeutender Teil der Therapie ist, dennoch habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass ich solche Situationen zwar aussitze aber in eine Panikattacke verfallen kann und im Nachhinein die Bestätigung meiner Angst bekomme anstatt einen Gewöhnungseffekt zu bemerken.
Dazu muss ich aber dringend erwähnen, dass solche Konfrontationen bei mir im Jugendalter ohne Aufsicht eines Therapeuten stattfanden. Allerdings hat mich diese Erfahrung nachhaltig verunsichert, weshalb ich mich immer langsam herantasten würde, denn es kann auch nach hinten losgehen.
Falls ihr Erfahrungen oder Tipps habt wie man eine für sich sinnvolle Exposition von einer noch zu schwierigen unterscheiden kann, immer her damit. :lol:

LG Jessi
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von welltemperedmind »

Hi Jessi,

das hört sich ja echt unschön an :/.
Falls ihr Erfahrungen oder Tipps habt wie man eine für sich sinnvolle Exposition von einer noch zu schwierigen unterscheiden kann, immer her damit.
Zu jeder guten Therapie gehört ja, sich ein Zwangshierarchie zu erstellen. Auf dieser befinden sich nun alle Trigger und Zwangsgedanken, die in einem Anspannung/negative Emotionen auslösen - geordnet nach Stärke der Anspannung. Auf so einer Hierarchie können dann beispielsweise 10 Elemente stehen. Bei jemandem mit Waschzwang steht dann bspw. ganz oben sowas wie Bahnhofstoilette benutzen und nicht die Hände waschen (100) und ganz unten sowas wie Türklinke berühren (10). Nur ein Beispiel.

Es gibt nun zwei verschiedene Vorgehensweise, die man sich als Betroffener auswählen kann - entweder die massierte Exposition (auch "Flooding" genannt) oder die graduierte Exposition.

Beim Flooding exponiert man sich direkt den allerstärksten Triggern - also hier die Bahnhofstoilette benutzen ohne sich die Hände zu waschen. Die Annahme ist, dass man sehr schnelle Fortschritte erzielen kann, wenn diese Exposition gelingt.

Bei der graduierten Exposition wählt man sich hingegen ein Element aus der Zwangshierarchie aus, die eine mittelstarke Intensität hat. Der Betroffene sollte selbst glauben, dass er die Exposition aushalten kann, obwohl sie für ihn starke Unruhe bedeutet. Die Annahme ist hier, dass der Betroffene lernt, erfolgreich seine Befürchtungen überwinden kann und nach und nach die Zwangshierarchie "hochklettert". Gleichzeitig bleibt für den Betroffenen immer die Sicherheit, dass er nie mit seinen schlimmsten Triggern konfrontiert wird. Erst, wenn ein Element erfolgreich konfrontiert wurde und der Betroffene sich damit halbwegs sicher fühlt, wird das nächst höhere Element exponiert.

Ansonsten kann man bei Expositionen sehr, sehr viel falsch machen. Was mir spontan einfällt:
- Expositionen zu früh abbrechen: Man sollte mit Expositionen frühestens aufhören, wenn das Gefühl der höchsten Anspannung überwunden wurde. Bricht man die Exposition vorher ab, hat der Betroffene das Gefühl, dass der Abbruch gut war (weil ja der Abbruch und nicht das Aushalten zu einer Minderung der Anspannung geführt hat).
- Verdeckte Zwangshandlungen. Es ist sehr gut möglich, dass der Betroffene mentale, unsichtbare Zwangshandlungen vollzieht, wie zum Beispiel sich ablenken etc. Diese heben den Effekt der Exposition auf und vermitteln dem Betroffenen das Gefühl, dass die Exposition nur mit "Hilfe" (ablenken) überwunden werden kann.
- Überfokus auf die eigenen negativen Gefühle. Hat der Betroffene die strikte Erwartung, dass seine Exposition zu einer Minderung seiner negativen Emotionen führen soll, dann passiert oft das Gegenteil. Eigentlich hat sich dann hier schon ein Meta-Zwang eingeschlichen (die Nicht-Akzeptanz von negativen Gefühlen und Zwangshandlungen, die versuchen, das zu kontrollieren).
- ...

Es gibt noch viel mehr Beispiele dazu. Wer mehr wissen will, dem empfehle ich das Buch "What Every Therapist Needs to Know About Anxiety Disorders: Key Concepts, Insights, and Interventions" von Martin Seif und Sally Winston.
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von Jessi »

Hey!
Ja, genau das ist mein Problem. An manchen Tagen, wenn die Zwänge sowieso nicht so präsent sind, schaffe ich es eine Distanz dazu aufzubauen.
An anderen Tagen steigere ich mich in die "Exposition" so sehr hinein, dass es mir danach tagelang wieder schlechter geht.
Das liegt aber auch daran, dass mein Zwang sich zum Teil auf meine körperlichen Reaktionen bezieht und in einer Konfrontation achte ich vermehrt darauf, sodass ich mich selbst eher mehr hineinziehen anstatt irgendwann den Punkt überwunden zu haben.
Klassische Expositionen helfen bei mir vermutlich nicht so richtig.
Hast du denn persönliche Erfahrungen mit den 2 Methoden machen können ?

LG Jessi
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von welltemperedmind »

Hey,
An anderen Tagen steigere ich mich in die "Exposition" so sehr hinein, dass es mir danach tagelang wieder schlechter geht. Das liegt aber auch daran, dass mein Zwang sich zum Teil auf meine körperlichen Reaktionen bezieht und in einer Konfrontation achte ich vermehrt darauf, sodass ich mich selbst eher mehr hineinziehen anstatt irgendwann den Punkt überwunden zu haben.
Vielleicht kannst du kurz genauer schreiben, was du meinst? Unter Umständen ist es möglich, dass in dir subtile Zwangshandlungen / Grübeleien ablaufen, die eine Habituierung verhindern. Vielleicht dauert deine Habituierung aber auch mehrere Tage und das nächste Mal geht es schon viel leichter. Das ist aber auf via Forum sehr schwer zu beurteilen und sollte vermutlich am besten dein Therapeut machen, falls er dazu in der Lage ist.

Oder es kann auch sein, dass du die "schlimmsten Befürchtungen" noch nicht akzeptiert hast. Jonathan Grayson schreibt dazu:
Grayson, Jonathan. Freedom from Obsessive Compulsive Disorder (p. 147). Penguin Publishing Group. Kindle Edition. hat geschrieben:Some of you may worry that treatment will make your OCD worse. In general, this doesn’t happen. But there is one exception. If you begin treatment, but the answer to your version of the question—Am I willing to learn to live with uncertainty?—is no, in treatment you are likely to reach a point at which you will want to quit.
Es kann sehr schwierig sein, herauszufinden, was der Grund dafür sein könnte, aber ich denke, es ist wert hier dranzubleiben.
Klassische Expositionen helfen bei mir vermutlich nicht so richtig.
Wie gesagt würde ich das noch nicht so unterschreiben. Ich denke, man sollte eher versuchen auszuschließen, ob Hintergrundprozesse dich an der Habituierung hindern.
Hast du denn persönliche Erfahrungen mit den 2 Methoden machen können ?
Mein eigenes Problem war vor allem die Zwangshandlung (also Grübeln), gar nicht so sehr die Trigger (aber auch). Die Expositionen waren daher für mich das kleinere Problem, sondern eher das Grübeln zu lassen.

Ich selbst bin aber auch graduiert vorgegangen - ich glaube, das machen auch die meisten so. Viele Dinge triggern mich auch heute noch (das war aber schon immer so), aber insgesamt würde ich sagen, dass sich die ganze Symptomatik um ca. 70-80% reduziert hat.

Allerdings habe ich auch heute immer wieder Phasen, in denen es mir sehr schwerfällt, nicht zu grübeln - dafür braucht es auch gar keinen Trigger. Und häufig falle ich auch mal wieder zurück ohne es ganz zu merken. Was mir wirklich sehr geholfen hat - und womit ich heute bestimmt nicht dort wäre, wo ich bin - ist die Akzeptanz der Ungewissheit und der schlimmsten Befürchtungen. Ich akzeptiere inzwischen viel schneller, dass meine schlimmsten Befürchtungen passieren können, als dass ich riskiere in den Grübelzwang zurückzurutschen. Die schlimmsten Befürchtungen können übrigens auch sein, dass zwanghafte Gefühle für immer bleiben.
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von Jessi »

Dass die zwanghaften Gefühle für immer bleiben ist wahrscheinlich eines meiner worst case Szenarien.

Um das etwas genauer zu beschreiben:
Ich reagiere in bestimmten Situationen, an bestimmten Orten oder zum Teil auch bei bestimmten Personen zwanghaft bzw diese triggern mich. In diesen Momenten achte ich darauf ob ich mich ängstlich fühle oder doch nervös oder eventuell sogar glücklich. Ich analysiere sozusagen jedes Gefühl. Auch wenn mir schlecht wird oder ich Bauchschmerzen bekäme würde ich darüber grübeln woher diese körperlichen Regungen jetzt kommen. Es könnte natürlich immer sein, dass ich zum Beispiel vorab zu viel gegessen habe.. aber ich analysiere in solchen Momenten alles und werde dadurch noch mehr verunsichert.
Ist irgendwie schwer zu beschreiben :lol: aber vielleicht weiß jemand etwas damit anzufangen.

LG Jessi
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von welltemperedmind »

Hi,

ich kenne das perfekt von mir. Ist eins meiner größten Zwangsthemen, mit dem ich am meisten kämpfe und gekämpft habe (aber inzwischen deutlich verbessert habe).

Lass mich kurz eine einzige Frage stellen und du darfst nur mit ja oder nein antworten:

Angenommen, dir geht es jetzt gerade so wie du beschreibst (ängstlich, nervös) und du hast Angst, dass dieser Zustand niemals aufhört.
Frage: Würde es dir genau jetzt in dieser Sekunde besser gehen, wenn du mit Gewissheit wüsstest, dass dieser ängstlich-nervöse Zustand in 10 Minuten aufhört?

Es ist keine Fangfrage und du darfst nur mit Ja oder Nein antworten ;).
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von Jessi »

Interessante Frage, tatsächlich würde ich da mit ja antworten.
Das ist das, was mich am meisten motiviert: zu wissen, dass ich schon viele Tiefs überwunden habe und es niemals ein Dauerzustand ist.

LG Jessi
welltemperedmind
Beiträge: 89
Registriert: Di 2. Feb 2021, 11:37

Re: Konfrontation - Wie steht ihr dazu / Tipps?

Beitrag von welltemperedmind »

Ja perfekt, dann haben wir bereits in wenigen Minuten schonmal einen Grund dafür gefunden, wieso die Habituierung bei dir nicht funktioniert :).

Die meisten Betroffenen (inkl. mir) antworten mit Ja.

Dieses Ja bedeutet in erster Linie, dass noch ein kognitiver Widerstand gegen deinen Zwang existiert. Das ganze geht ein wenig in den Bereich Kognitive Therapie, aber auch Mindfulness. Die Idee dahinter ist, dass du deinen aktuellen Zustand im Hier und Jetzt davon abhängig machst, wie es dir in der Zukunft geht. Du bist jetzt ängstlich und nervös, weil du Angst hast, dass du in 10 Minuten (oder wann anders in der Zukunft) noch immer ängstlich und nervös sein könntest. Und in 10 Minuten geht es dir dann wieder genau so.

Es geht darum, sich erstmal klarzumachen, dass man sich - wie bei vielen anderen Zwängen auch - sich im Hier und Jetzt Sorgen um die Zukunft macht und einen diese Sorgen aus dem Hier und Jetzt reißen. Und, dass man diese Befürchtung unbedingt vermeiden will und dagegen ankämpft. Also wie bei anderen Zwängen auch.

Das Ziel wäre es, zu versuchen, mit mehr Achtsamkeit im Hier und Jetzt zu sein. Sich auf die Dinge konzentrieren, die man gerade machen möchte, obwohl man sich vielleicht gerade nicht danach fühlt. Und nicht zu versuchen, seine Gefühle zu verändern - das klappt sowieso nicht. Ich weiß, es ist leichter gesagt als getan und ich weiß wovon ich spreche ;). Ich schreibe das hier gerade erstmal nur in Absicht des Erkenntnisgewinns.

Also wie gesagt, ich habe das gleiche Problem und es ist vermutlich meine stärkste Angst. Und ich versuche, dann genau das wie oben zu machen. Oft geht's mir auch einige Tage mies, aber mit Grübeleien wird es immer noch viel schlimmer und vor allem dauerhafter. Und wenn ich es früh erkenne, ist es oft nach wenigen Minuten oder Stunden weg. Mir ist es inzwischen egal - ich denke: "Ok, dann muss ich halt irgendwann in die Psychiatrie, wenn es gar nicht mehr geht (befürchtete Konsequenz). Ich will es nicht mehr kontrollieren und beeinflussen wollen, ich bin es leid. Ich mache jetzt einfach das, was ich eigentlich machen will, auch wenn es mir schwerfällt".

Die ganze Idee stammt übrigens - wie soviel auch, von dem ich schreibe - von Jonathan Grayson. Das kurze Kapital zu Acceptance- und Commitment-Therapie (angepasst für Zwänge) finde ich für genau diese Problematik sehr hilfreich. Da steht auch noch etwas mehr dazu.

Ich hoffe, ich konnte etwas helfen :).

Edit:
Das ständige in sich Hineinfühlen und schauen, ob man sich noch ängstlich fühlt, ist übrigens genauso ein Kontrollzwang wie ständig den Herd zu kontrollieren - nur mit anderer Befürchtung und (leider) sehr viel schwerer abzustellen.
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