Arbeiten und Zwangserkrankung

downtherabbithole
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Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von downtherabbithole »

Hallo,

falls jmd nicht den ganzen persönlichen Text von mir durchlesen möchte, ich habe meine Fragen an euch etxra dick markiert und freue mich natürlich auch, wenn die einfach so beantwortet werden (ohne dass jeder den ganzen Text liest).

Ich wollte mich gerne mal austauschen zum Thema Arbeiten und Zwänge. Wie habt ihr das für euch geregelt?
Ich bin durch meine Zwänge schon stark eingeschränkt, arbeite aber 40h Stunden die Woche.
Die Zwangshandlungen nehmen bei mir nach der Arbeit schon sehr viel Zeit ein 1,5h Stunden, auf der Arbeit bestimmt eine halbe Stunde und vor der Arbeit bestimmt auch noch mal 20min. Das sind jetzt aber nur die Zwangshandlungen, bei denen ich die Minuten quasi mitzählen kann. Natürlich brauche ich durch die Zwänge für viele Dinge länger. Im Homeoffice ist es besser, weil ich nicht Duschen muss.
Insgesamt bin ich häufig sehr krass erschöpft, habe auch nebenbei Depressionen und diverse körperliche Sympotome. Manchmal habe ich das Gefühl ich breche bald zusammen. Dann nehme ich mir Urlaub. Ich gehe auch öfter mal früher nach Hause rutsche dann aber (arbeite Gleitzeit) ins Minus, was mich wiederum stresst.

Für viele Dinge in der Wohnung habe ich keine Energie mehr, geschweige denn Steuererklärung zu machen o.Ä. Natürlich habe ich dabei aber auch wieder Zwangsprobleme, weswegen mit Zwangshandlung alles ewig dauert (zB Bad putzen).
Einmal die Woche gehe ich in Therapie und sollte dann eigentlich noch Expositionsübungen machen. Am Wochenende bekomme ich das mittlerweile auch ganz gut hin. Allerdings habe ich immer wieder das Gefühl das es besser wäre wenn ich wirklich täglich zumindest kleine Übungen machen würde. Bin da aber so in meinem Ablauf gefangen um irgendwie noch alles hinzubekommen am Tag, dass dafür meistens keine Zeit übrig bleibt.
Deswegen bin ich momentan hin und hergerissen und überlege meine Stundenanzahl auf der Arbeit zu kürzen. Das geht aber natürlich wieder mit finanziellen Einbußen einher. 5 Stunden weniger wären nicht so das Problem, aber ich weiß nicht mal ob mir das reichen würde.

Gleichzeitig hilft mir die Arbeit denke ich nicht weiter in Depressionen zu rutschen und auch den Zwang etwas im Zaum zu halten. Ich bin also irgendwie in einem ungünstigen Kreislauf gelandet und mich würde interessieren, wie das bei anderen so ist und ob jmd vll einen guten Weg für sich gefunden hat?

Außerdem würde ich gerne wissen, ob ihr euren Arbeitgebern von eurer Zwangserkrankung erzählt habt und wie ihr euren Kollegen gegenüber damit umgeht?
Ich habe das bisher nicht getan, weil ich Angst habe, dass sie dann versuchen mich loszuwerden. Der Grund warum ich manchmal denke es wäre aber besser sie wüssten Bescheid, ist weil ich des öfteren Mal Termine verschussel oder wegen der Zwänge zu spät bin, außerdem kann ich momentan keine Geschäftsreisen machen, was zu einem Problem werden könnte, nachdem diese wieder stattfinden (vorher gab es eine ganze Weile keine, Corona bedingt). Außerdem finde ich es wahnsinnig anstrengend die ganze Zeit so zu tun als ob alles mit mir in Ordnung sei, obwohl es mir oft einfach richtig schlecht geht. Manchmal mache ich vll etwas seltsame Sachen, die sicherlich schon dem einen oder anderen aufgefallen sind und ich denke manchmal die Leute wüssten vielleicht besser Bescheid.
Bei uns sind allerdings in den letzten zwei Jahren mehrere Leute aus psychischen Gründen ausgefallen, ich fand es furchtbar was die Kollegen alles geredet haben, weil sie einfach keine Ahnung haben. Da wurde dann unterstellt, die haben keinen Bock mehr zu arbeiten, oder die reißen sich nicht genug zusammen etc. etc. Ich stand dann ironischerweise noch da und habe den anderen erklärt, dass psychische Erkrankungen nicht so sind, wie sie denken, obwohl ich selber betroffen bin und einfach wahnsinnig verletzt war.
Jessi
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Jessi »

Hey :)

Ich kenne dein Problem sehr gut. Meine Zwänge halten mich zwar zeitlich nicht auf, doch sie beschäftigen mich natürlich auch ständig. Allerdings habe ich mentale Zwangshandlungen, sodass ich weiterhin pünktlich zur Arbeit erscheinen kann usw. Allerdings kenne ich den Zwiespalt, einerseits fühlt man sich ausgelaugt und andererseits weiß man auch, dass die Arbeit einem Struktur gibt und man genau das auch braucht.
Ich weiß, dass mir die Arbeit sehr viel Halt gibt, sodass ich nicht noch tiefer hineinrutsche. Auch wenn es sich manchmal nicht danach anfühlt. Ich denke, dass ist auch eine Form der Konfrontation, sodass es eben deswegen auch psychisch anstrengend ist.

Zum Thema Kollegen und Vorgesetzten kann ich nur aus meiner persönlichen Sicht sprechen. Ich habe es niemandem erzählt, mit dem ich beruflich in Kontakt stehe, auch wenn meine Kollegen sehr nett und aufgeschlossen sind. Es gibt diesbezüglich zu große Vorurteile und ich befürchte, dass es mir irgendwann Steine in den Weg legen könnte.

LG Jessi
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SHG
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Gutes tun tut gut

Beitrag von SHG »

Sehr wertvolle Beiträge hier, finde ich. Bzgl. Outen würde ich auch sagen, dass es durchaus verständlich ist, wenn man seine Diagnosen für sich behalten will. Ich kann aber auch nachvollziehen, wie mühsam das Verstecken sein kann. Ich meine es ist ganz gut, wenn man mit einzelnen Aspekten offener umgeht, wenn die für den jeweiligen Kollegen/Vorgesetzten relevant sind. Im Sinne von: ich würde gerne diese Arbeit effektiver erledigen und auch daran arbeiten, dass es mir besser gelingt, und ich weiß, dass ich mich da manchmal übertrieben mit Details beschäftige und daher zu lange brauche. Mir tut das dann schon auch mal selber gut, wenn ich das so erst mal an mir selbst anerkenne - sparsam mitteile und wenn es ganz gut läuft, vielleicht gemeinsam ein Stückchen besser voran komme.
Jedenfalls kann von einem nicht in jeder Hinsicht Perfektion abverlangt werden und wenn mal was nicht ganz passt wäre man verpflichtet Intimes von sich Preis zu geben (mit dem vielleicht tatsächlich viele nicht mehr anzufangen wüssten, als mal wieder was zum Tratschen zu haben - ich will aber auch nicht zu sehr verallgemeinern - es kann durchaus auch anders laufen)
Auch das neben den vielen Verpflichtungen gar nicht dazu zu kommen, gegen die Zwangsstörung zu arbeiten, ist mir nicht unbekannt. Die Therapie bzw. das am gesünder werden Arbeiten ist eben wirklich eine Notwendigkeit und auch eine tlw. sehr fordernde Aufgabe, die nicht so nebenbei geht, wie wenn man weil man gerade Laune hat mal zur/m Kirche/Yoga/Stammtisch geht. Auch wenn man es (verständlicher Weise anderen nicht mitteilt) sollte man sich klar sein, dass man eine Krankheit hat, die eine Behandlung braucht - allenfalls auch vorbeugend. Es gibt da eine Geschichte von Jorge Bucay von einem Holzfäller, der mit immer stumpfer werdender Axt immer weniger Bäume zu fällen vermag und gefragt, wie es mit Schärfen wäre antwortet, dass er dazu keine Zeit hat, weil er ja zusehen muss, dass er wieder genug Bäume fällt - die ist mir dazu eingefallen.

Ich will hier nicht rechthaberisch wirken, weil ich es selber nicht leicht finde dbzgl. eine gute Balance zu finden.

Zusammenfassend nehme ich mir aus unserem Geschriebenen mit: etwas mehr Anerkennung und gezielte Offenheit was die eigene Zwanghaftigkeit angeht - und damit auch mehr Akzeptanz, wenn andere das vielleicht zu wenig haben (also vermeintlich zu schlampig, ungenau, chaotisch .. sind)
Auf die eigene Gesundheit achten, damit ich Gutes schaffen kann. Ich hab jetzt mal ein schönes Plakat gesehen:
„Mein Job tut mir gut. Und anderen auch.“
downtherabbithole
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Re: Gutes tun tut gut

Beitrag von downtherabbithole »

SHG hat geschrieben: Di 7. Jun 2022, 21:14 Auch das neben den vielen Verpflichtungen gar nicht dazu zu kommen, gegen die Zwangsstörung zu arbeiten, ist mir nicht unbekannt. Die Therapie bzw. das am gesünder werden Arbeiten ist eben wirklich eine Notwendigkeit und auch eine tlw. sehr fordernde Aufgabe, die nicht so nebenbei geht, wie wenn man weil man gerade Laune hat mal zur/m Kirche/Yoga/Stammtisch geht. Auch wenn man es (verständlicher Weise anderen nicht mitteilt) sollte man sich klar sein, dass man eine Krankheit hat, die eine Behandlung braucht - allenfalls auch vorbeugend. Es gibt da eine Geschichte von Jorge Bucay von einem Holzfäller, der mit immer stumpfer werdender Axt immer weniger Bäume zu fällen vermag und gefragt, wie es mit Schärfen wäre antwortet, dass er dazu keine Zeit hat, weil er ja zusehen muss, dass er wieder genug Bäume fällt - die ist mir dazu eingefallen.

Ich will hier nicht rechthaberisch wirken, weil ich es selber nicht leicht finde dbzgl. eine gute Balance zu finden.
Du wirkst nicht rechthaberisch, du hast total recht. Das ist mir eben auch immer mehr bewusst geworden, ich muss mich mehr um meine Gesundheit kümmern und nicht mehr so tun als ob alles okay sei. Das mit dem Holzfäller passt auch echt ganz gut.

Ich werd mir das jetzt noch mal genau überlegen, aber zumindest 5 Stunden zu reduzieren macht sicher total Sinn. Und wenn ich mich über mehrere Tage richtig schlecht fühle, sollte ich mich vielleicht auch mal krank schreiben lassen, anstatt dann zur Arbeit zu gehen aber früher wieder heimzugehen und ins Minus zu rutschen.

@Jessi
Ich weiß, dass mir die Arbeit sehr viel Halt gibt, sodass ich nicht noch tiefer hineinrutsche. Auch wenn es sich manchmal nicht danach anfühlt. Ich denke, dass ist auch eine Form der Konfrontation, sodass es eben deswegen auch psychisch anstrengend ist.
Das ist es mit Sicherheit auch, ich finde es eben nur schwierig zu unterscheiden, was gesunde Konfontation ist und was dann ungesundes kaputt arbeiten ist, weil der Körper eben vielleicht mit all den Sachen im Kopf schneller angestrengt ist, als bei jemand "normalen".
Jessi
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Jessi »

Das ist natürlich individuell und demnach bei jedem unterschiedlich. Ich hatte auch schon Momente, gerade zu Beginn der Zwänge, in denen ich auch eher von der Arbeit überfordert war aber nach Außen einfach funktioniert habe, da ich mich nicht outen wollte.
Mittlerweile ist es aber so, dass ich durch weniger Arbeit vermutlich psychisch stabiler wäre, doch auch mehr eingeschränkt werden würde. Beispielsweise fallen mir gelegentlich Dinge wie einkaufen sehr schwer, an anderen Tagen wiederum überhaupt nicht. Ohne die Verpflichtung der Arbeit würde ich mich vermutlich weiter isolieren und mich alleine kaum noch wohin trauen.

Wie gesagt, das ist nur meine persönliche Erfahrung und Einschätzung und ich denke dass man das selbst am besten einschätzen kann, wie viel Belastung man in welcher Situation aushalten kann. Demnach bin ich auch eher ein Freund davon sich selbst erstmal zu stabilisieren um von Konfrontation erst profitieren zu können, sodass sie nicht im schlimmsten Fall nicht wirken können und nur triggern.

LG Jessi
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Tim
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Tim »

Hallo.

Das ist eine wichtige Frage. Wie mit den Kollegen umgehen.

Ich möchte da gerne meine Erfahrung zu schreiben.
Ich habe ja Gedanken und Handlungszwänge. Diese lassen sich nicht verbergen. Denn schon das Betreten eines Raum kann bei mir mehrfach dauern.
Dazu habe ich große Probleme mit dem Schreiben und Tippen. Was sehr ärgerlich ist weil ich Programmierer bin.
:?
Ich habe mich also bewusst mit dem Aspekt des zwang beworben. Es steht in meinem Lebenslauf. Es ist Teil von mir.
Ich möchte sagen ich werde vom Zwang kontrolliert. Ich bin ein Marionette des Zwang. Was ich mache ist das was mir der Zwang erlaubt.
Das geht bei allem was ich tue. Denn alles was ich berühren kann kann ich "verfluchen" . Das sind magische Gedanken.
Dadurch habe ich bei allem Probleme. Ich komme fast immer zu spät. Schaffe höchstens 50% dessen was ein gesunder Nicht Zwängler schafft.

Dazu muss man sagen das ich im öffentlichen Dienst angestellt bin.
Nur da habe ich mich getraut zu bewerben. In der privaten Wirtschaft wäre ich sicher nach nem halben jahr abgeschoben.
Bei uns gibt es wenig Druck.
Und wir haben einen Betriebsrat. Einen Schwerbehindertenvertreter. Das sind gute und wichtige Netze.
Die uns Zwangskranken aber wie ich ich finde zu stehen. Jeder Zwängler leidet so stark unter dem Zwang und unter dem Umgang der "anderen" damit.
Ich kenne viele andere Zwängler die alles tun um ihren Zwang nicht zu zeigen. Ich tue das nicht. Ich möchte das die Menschen wissen was mit mir ist.

Ich habe da geteilte "Response" bekommen.
Die einen respektieren das. Versuchen mir zu helfen und sind höflich. Andere die das nicht so verstehen zeigen das teilweise direkt. ich hatte schon oft
Gespräche mit meinem Vorgesetzten die etwa "Na du mit deinem wenigen Kram" oder "ich wäre eben so gerne so wenig belastet wie du".
Das kränkt. Das trifft einen. Doch ich weis jetzt wie ich darauf reagiere. Ich kann sagen "Du bist aber nicht so krank !"
Das Problem von vielen Zwänglern ist meiner Meinung nach wie sie auf die Umwelt reagieren. Und das man eben eigentlich als normal gilt.

Ich will dafür was tun das wir endlich die anerkennung finden die uns gebührt. Das wir wie alle anderen Menschen mit schweren Beeinträchtigungen
die Hilfe bekommen die wir verdienen.
Mein größtes Problem ist es den Leute zu erklären warum ich Dinge nicht tun kann oder sie wiederholen muss.
Das verstehen manche einfach nicht. Aber das ist nicht unser Problem. Wir müssen uns darum kümmern das wir die Anerkennung erhalten.
Ich rede da jetzt nur von öffentlichen Stellen.

In der Privatwirtschaft wo man nur auf Leistung Wert legt hat man wohl leider kaum eine Chance.
Doch eben so da gibt es ja mittlerweile schon Änderungen. Wie z.B. Stellen die extra für Autisten geschaffen wurden.
Kann es sowas nicht eben so geben für Menschen mit Ängsten? Oder Depressionen?

Ich versuche immer dafür einzustehen wenn ich merke es wird sich über Menschen mit seelischen behinderungen lustig gemacht.
Zumal die Zahl der Angstkranken stark steigt. Und steigen wird. In dieser Umwelt mit diesen vielen Problemen und Ängsten.
Schon vor Corona und Krieg.
Ich habe große Angst vor dem Klimawandel. Und das betrifft sehr viele menschen.
Da brauchen wir endlich Strukturen die für menschen wie uns geschaffen werden.

bei Depressiven geht man da ja so langsam in die richtige Richtung.

Also ich kann allen die nicht um ihren Beruf Angst haben nur empfehlen ihre Krankheit öffentlich zu machen.
Wenn man sich traut. Also wenn man mit den Reaktionen umgehen kann.

Bei mir hat mir der GDB 50 noch mal die Sicherheit gegeben. Das ich sagen kann "hier Leute das ist kein Spaß".
Diese Krankheit ist sehr fies und bitte respektiert das.

Ich hoffe das hilft Dir.

lg Tim
Anka
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Registriert: Mo 17. Jan 2022, 21:24

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Anka »

...Hallo downtherabbithole!
Mich haben deine Fragen und , vor allem, auch die Texte dazu sehr bewegt, da ich mich in deiner Beschreibung des arbeits(all)Tags, mit den Einschränkungen, Abläufen,Planungen,Zeitmangel bzw zeitaufwand(ich glaube ich toppe ihn noch), Anstrengungen, Erschöpfung und den Ansprüchen (auch durch sich selbst) bzgl.expositionsübungen mit gleichzeitiger Erschöpfung und Frust sehr wieder finde...
Da ich vollzeit im " sozialen bereich" tätig bin, seit letztem Jahr auf wartelisten für einen klinikaufenthalt stehe(der wohl jetzt im Herbst ansteht :? ) und auch bei der Arbeit wasch-, kontroll-, ordnungszwänge auftreten und auch fue Pünktlichkeit ein Problem von mir ist, habe ich mit meiner vorgesetzten und meinen engsten mitarbeiter*innen gesprochen und zumindest grob berichtet was und warum mein plan ist...grundsätzlich, und das hab ich auch in dem Gespräch gesagt, habe ich aber das Gefühl, das mir die Arbeit wichtig ist, Spaß macht und auch aktuell zumindest soweit Struktur und Alltag bietet, und ich sie insofern für mich als wichtig empfinde. Auch ist es bei der Arbeit ein Mix aus expos/Auseinandersetzung und Konfrontationen mit dem Zwang und aber auch immer wieder die Erkenntnis, daß er bei mir vor allem zu Hause (noch) aktiver wird..
Neben 1x wöchentlicher (verhaltens)therapie gehe ich noch zur Ergo, wo ich Entspannungsteghniken lerne und auch immer wieder reflektiere, wie genau diese z.b. auch während der Arbeit mal punktuell eingesetzt werden können, das hilft mir auch sehr!- außerdem ist meine Ergotherapeutin superentspannt, was mein ständiges zu spät kommen angeht und das entspannt mich auch immer ;)
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Jessi »

Hey!
Ich schließe mich Anka an. Wie schon erwähnt sollte man sehr individuell mit der Entscheidung umgehen ob man es öffentlich zeigen möchte oder eben nicht aber mir geht es ähnlich, die Arbeit hilft eine Struktur zu erhalten und zwingt einen zur Konfrontation und lenkt gleichzeitig aber auch ab.
Demnach finde ich es, aus meiner Sicht und Erfahrung natürlich nur, schwierig wie Tim es sieht.
Ich, für meinen Teil, möchte nicht extra stellen für Zwängler besetzen. Im Endeffekt sollte unser Ziel ja sein mit den Zwängen leben zu lernen und sie zu beherrschen und nicht uns zu fügen, sodass sie uns weiter beherrschen können.
Ich finde, das assoziiert eine hilflose Situation in der sich die meisten Zwängler hoffentlich nicht befinden.
Würde ich meinem Job nicht in dem Ausmaß nachgehen wie es aktuell der Fall ist, würde ich mich vermutlich noch mehr isolieren. In meinem Fall ist es jedoch auch so, dass ich reine Zwangsgedanken habe. Meine Arbeit wird demnach von Ängsten und Nervosität begleitet, ist aber außer teilweise gedankliche Abschweife nicht von Außenstehenden zu bemerken.
Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es gerade bei Handlungen nochmal schwieriger ist einem normalen Vollzeitjob mit den Erwartungen an einen gesunden Menschen gerecht zu werden.
In schlimmen Phasen wollte ich mich auch nur zu Hause verkriechen und war während der Arbeitszeit fast schon apathisch, allerdings hat mir rückblickend dieses Durchbeißen geholfen, schneller wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.

LG Jessi
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Tim
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Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Tim »

Hallo jessi.

Danke für deine Antwort. :-)
Ich möchte darauf gerne eingehen.

Erst einmal will ich und werde niemand eine Anweisung geben wie man sich verhalten sollte.
Deine Antwort hat mich etwas getriggert was aber an meiner sozialen Störung liegt. Ich fühle mich schnell von anderen Menschen abgelehnt. Das ist mir bewusst das dies übertrieben ist. Ohne Mimik und Gestik habe ich kaum die Chance zu erahnen was du
über mich denkst. Was mir ja egal sein sollte da wir uns gar nicht kennen ;)

Du schreibst
Wie schon erwähnt sollte man sehr individuell mit der Entscheidung umgehen ob man es öffentlich zeigen möchte oder eben nicht
Das sehe ich eben so.
Ich finde eben so wie du das die Arbeit einem Struktur gibt. Ich arbeite in Teilzeit 35h die Woche.



Was ich mit meinem Beitrag verdeutlichen will ist, dass es in dieser Gesellschaft wenig Verständnis für seelische Krankheiten gibt.

Wie schon downtherabbithole schreibt:
Bei uns sind allerdings in den letzten zwei Jahren mehrere Leute aus psychischen Gründen ausgefallen, ich fand es furchtbar was die Kollegen alles geredet haben, weil sie einfach keine Ahnung haben. Da wurde dann unterstellt, die haben keinen Bock mehr zu arbeiten, oder die reißen sich nicht genug zusammen etc. etc
Das finde ich eine Frechheit. Die Leute reden über etwas von dem Sie keine Ahnung haben.
Und wieso? Weil es keine Information über diese Krankheit im speziellen und über viele seelische Krankheiten im allgemeinen gibt.
Weil wir in einer Gesellschaft leben in der Leistungsdruck und Ellenebogenmentalität waltet. Das ist mein Eindruck der letzten Jahre.
Es gibt keine Emphatie in der Gesellschaft für Leute mit psychisch/seelischen Krankheiten.
Daher diese Sprüche wie "Reiß dich doch mal zusammen". Das ist sehr verletztend.
Würde jemand einen Rollstuhlfahrer fragen ob er nicht mal endlich anfängt zu laufen?

Und wie sollen die Leute denn Informationen zu diesen Themen bekommen wenn viele Leute mit Ängsten und Zwängen sich nicht trauen dies öffentlich zu machen? :|
Da kann sich nur wenig ändern. Ich möchte aber das ist da etwas ändert.
Ich möchte mich nicht mehr schämen für meine Krankheit. :(
Wie traurig dass ich mich für etwas schäme für das ich nichts kann.

Und natürlich schäme ich mich im stillen doch etwas. Wenn ich es nicht schaffe eine Treppe normal zu laufen. Wenn ich hin und her gehe wieder und wieder eine Stufe betreten muss. Das beschämt einen. Weil man mal gesund war. Weil man weis das man es eigentlich kann.
Aber ich möchte mich nicht vor jemand schämen der das nicht kennt und nicht versteht.

Ich habe ja nun schon viel Therapie gehabt und kann mit 100% Sicherheit sagen.
Das die Gesellschaft der Grund ist wieso ich Zwänge bekommen habe.
Aufgrund von Hänseleien in der Kindheit und Rumgeschubst werden. Von Mitschülern aber eben so Lehrern .

sicherlich habe ich daher eine besondere Sicht auf die Dinge. Das die Gesellschaft in der Verantwortung ist das sich dies ändert.
Ich jedenfalls möchte nicht das meine Kollegen sich über Leute wie mich lustig machen.

und downtherabbithole schreibt
Außerdem finde ich es wahnsinnig anstrengend die ganze Zeit so zu tun als ob alles mit mir in Ordnung sei, obwohl es mir oft einfach richtig schlecht geht
.

Genau darum geht es. Sich verstellen. Sich verstecken. Nur nicht auffallen.
Aber wieso eigentlich? Nur weil du so bist wie du bist? :roll:
Weil du nicht dem entsprichst was die Gesellschaft von dir erwartet wie du dich verhälst.
Ich finde dies sollte man sich mal in Ruhe durchlesen. Was das bedeutet.

Ich finde das sehr schade. Als sei es ein Makel einen Zwang zu haben.
Es ist nicht schön aber ich finde kein Makel.

Warum verschweigt jemand mit einer Zwangskrankheit eigentlich selbst guten Freunden das?
Da hätte ich gerne mal eine plausible Antwort.

Du schreibst
Ich, für meinen Teil, möchte nicht extra stellen für Zwängler besetzen. Im Endeffekt sollte unser Ziel ja sein mit den Zwängen leben zu lernen und sie zu beherrschen und nicht uns zu fügen, sodass sie uns weiter beherrschen können.
Ich finde, das assoziiert eine hilflose Situation in der sich die meisten Zwängler hoffentlich nicht befinden.
Ja ich lebe mit den Zwängen. Das heißt nicht das ich mich füge. Ich möchte "nur" die Anerkennung der Gesellschaft das ich "nicht rumspinne" oder faul bin oder simuliere.
Darum geht es mir.

Ich bin oft hilflos! Und ich kenne viele Zwängler die eben dies sind.
Bei Zwangshandlungen wie meinen kann man das nicht abstreiten.
Doch schaffe ich 35h/Woche.
Ich hatte erst 40h/Woche.

Wenn meine Kollegen nicht wüssten was mit mir ist hätte ich einen enormen Druck.
Ich müsste viel öfter begründen warum ich so langsam arbeite. Warum ich zu spät bin.
Das wiederum würde mein Wohlbefinden sehr belasten. Ich würde noch kränker werden.
Will mir das gar nicht vorstellen das meine Kollegen denken würde mir mir ist alles normal.

Nur mal eine Szene. Ich versuche mir Wasser einzugießen für Kaffee .
Da ich dabei nichts "schlimmes" denken darf geht dies schief. Ich kippe das
Wasser weg. Nach und nach werde ich wütend. Ich versuche es immer schneller zu machen. Rede laut mit mir um meine inneren Stimmen zu übertönen. Nach einer halben Stunde habe ich es satt. Ich geben auf. Gehe von mir gedemütigt in mein Büro.
Wenn das ein Kollege sehen würde. Wie würde der das wohl finden wenn der nicht wüsste das ich Zwänge habe. Oh sie haben eine halbe Stunde nichts getan. Und warum kippen sie
das Wasser weg?


Ich möchte da wirklich Aufklären. Die Angst nehmen sich zu "outen".

Wenn ich mich nicht geschämt hätte vor dieser Krankheit wäre ich sicher schon
viel eher zum Neurologen gegangen. Hätte viel eher eine Therapie begonnen und
die Chancen auf einen Besserung wäre viel höher. Das sagen alle Therapeuten. Desto eher man eine Therapie beginnt desto besser die Chancen auf eine Verbesserung.


Im Schnitt gehen Menschen mit Zwängen erst nach 5 Jahren oder später zum Arzt.
Verlorene Zeit. Desto später die Therapie beginnt desto schwerer wird sie.

Das ist alles bekannt.
Also desto eher man ehrlich zu sich ist und sich so akzeptiert wie man ist desto
eher kann man auf Hilfe hoffen.

So sehe ich das.

Ich respektiere ausdrücklich jeden Zwängler der dies nicht möchte.
ich war wie gesagt lange Zeit beschämt. Habe erst nach einigen Jahren meine Familie
eingeweiht.

Die haben gleich sonst was gedacht was mit mir ist und was aus mir wird.
Wieder ein Beispiel für die nicht vorhandene Aufklärung in der Gesellschaft.

Ich habe mein Studium geschafft. Habe eine eigene Wohnung die ich zwar nur schwer in Ordnung halten kann aber ich schaffe es. Ich lebe selbstständig trotz der Zwänge.

Sorry wenn ich mich da oft wiederhole. Ich möchte niemand überzeugen. Das wäre eh sinnlos.
Doch ich möchte den Leuten helfen die sich trauen möchten sich zu "outen".
Denn meine Erfahrung ist dass es danach einfacher wird.
Einfacher mit der Umelt zu interagieren.

Noch ein Beispiel. Ich habe an der Uni nur so lange studiert weil ich
meine krankheit offen kund getan habe. So bekam ich bei Prüfungen sogenannte "Ausgleichsleistungen". Das man weniger Aufgaben machen muss.
Ich musste keine Langzeitstudiengebühren zahlen. Und ich hatte sogar einige persönliche Treffen mit meinem Prof wo er mir noch mal Dinge erklärt hat.
Dieser hat sich im Übrigen sehr emphatisch gezeigt. Ja sogar berührt.

Andere Leute an der Uni haben sich erst mal schwer getan mit mir und dieser Diagnose.
Aber ich habe mich durchgesetzt.

Was wäre die Alternative gewesen? Ich hätte die Uni nicht geschafft. Hätte keinen Abschluss
und so mit sehr schlechte Chancen auf einen Beruf.
Nur weil ich mich geschämt hätte diese Krankheit so offen zu benennen.

Und es brauchen keine extra Stellen geschaffen werden nur für Zwängler.
Doch eben das Bewusstsein das es sowas gibt.

Ich habe bei all meinen Bewerbungsgesprächen immer den Zwang erwähnt. Alle
dort Anwesenden waren demgegenüber sehr offen.
Sie wusste zwar so gut wie nie was sie damit anfangen sollen doch haben sie
mich da nie für irgendwie benachteiligt.
Ich habe nur die besten Erfahrungen damit gemacht.

Zum Schluss nochmal sorry für diesen langen Text.
Mir ist es einfach ein großes Anliegen. Menschen zu motivieren sich
weniger zu schämen und eher offen mit dieser Krankheit um zu gehen.
Und natürlich ist es immer eine Sache der Schwere.
Bei leichten oder mittelschweren Zwängen , wenn diese einen weniger einschränken und
man mit den Kollegen gut umegehen kann, sollte man sich das gut überlegen.

Übrigens gilt das gleiche für den Schwerbehinderten Ausweis.
Ich habe mich da lange gesträubt den zu beantragen.
Und warum? Ich denke ihr wisst es. Nur aus Scham.
Weil ich dann als "schwer behindert" gelte. Was für ein beschämendes Wort.
Aber ich habe es gemacht. Und es stört mich nicht die Bohne mehr.
Es bringt mir aber einige Vorteile.
Besseren Kündigungs Schutz. Die Anerkennung bei meinen Vorgesetzten. Was ich persönlich
noch wichtiger finde. Und nebenbei noch drei Urlaubstage mehr.
Ich bin froh das ich das gemacht habe.

Die Wortfindung ist leider bei vielen Dingen derlei nicht optimal.
Wer hat schon gerne eine Störung.

Ich habe eine Zwangsstörung. Eine soziale Störung und Depressionen.

Klingt nicht so toll. Aber wenn es nur das ist.

Also ich hoffe ich kann einige Leute dazu motivieren sich mehr zu trauen.

:-)

LG Tim
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Arbeiten und Zwangserkrankung

Beitrag von Jessi »

Hey Tim,

Also zu erst einmal möchte ich betonen, dass ich dich weder ablehnen noch anderweitig kritisieren wollte. ;) Wie du schon sagst, sollte es dir aber wirklich egal sein. Allerdings kenne ich das Gefühl und fühle mich selbst auch ständig benachteiligt oder abgelehnt, weshalb ich auch immer sehr bemüht bin keinem anderen ein solches Gefühl zu vermitteln.
Also, ich kenne das Problem.

So wie du es jetzt beschrieben hast stimme ich dir vollkommen zu.
Im Allgemeinen sind psychische Erkrankungen immernoch extrem stigmatisiert und das muss sich ändern. Diesbezüglich bin ich leider kein gutes Vorbild, denn ich musste leider immer wieder Ablehnung gegen solche Themen erfahren, sodass ich für mich den Schluss gezogen habe, dass ich es soweit möglich, aus dem beruflichen Umfeld heraushalten werde, einfach aus Angst meine Leistung würde dann nicht mehr in der Form anerkannt oder mir zugestanden werden.
Dies liegt aber vor allem an der Hierarchie in den Unternehmen.


Es freut mich auf jeden Fall, dass du bisher nur gute Erfahrungen sammeln konntest und ich hoffe das wird auch in Zukunft so bleiben.

LG Jessi
Antworten