Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

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BesorgterPartner
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Registriert: Di 19. Jul 2022, 10:48

Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von BesorgterPartner »

Hallo liebes Team, Hallo liebe Leser:innen,

es ist für mich an der Zeit mal Fremdmeinungen und -perspektiven einzuholen, da ich mit meinen Internetrecherchen keine echte Antwort finde.

Und zwar geht es um meine Partnerin, von der ich glaube, dass sie eine Zwangsstörung hat; sicher bin ich aber nicht – ich bin ja schließlich kein Psychologe :-).

Warum ich glaube, dass meine Partnerin eine Zwangsstörung hat, möchte ich nachfolgend an einigen Beispielen eruieren. Vielleicht interpretiere ich das auch falsch oder nehme das übertrieben wahr. Da könnt ihr mir ja helfen. In jedem Fall finde ich einen Punkt hervorhebungswürdig: Was auch immer ich über Zwangsstörungen lese geht immer damit einher, dass die betroffene Person das Ganze selbst als Einschränkungen des Lebens wahrnehmen. Das konkret trifft auf meine Partnerin nicht zu, denn sie findet das, was sie tut komplett richtig, normal und das was die Mehrheit tut merkwürdig, komisch und komplett unnachvollziehbar.

Nachfolgend nun einige Beispiele, um einen Einblick zu erlauben:
  • Alle eingekauften Lebensmittel werden von Hand desinfiziert
  • Besteck im Restaurant wird desinfiziert
  • Bei einem Restaurantbesuch werden die Hände mehrfach desinifiziert (nach dem Nutzen der Karte, nach dem anfassen der Stühle, vor dem Essen natürlich auch nochmal)
  • Sie fühlt sich sichtlich unwohl beim Nutzen von ÖPNV und sagt es auch (wahlweise: "Kannst du mich nicht mit Auto fahren?" oder: "ich laufe die 10 km" oder: "ich fahre früh um 6 mit dem Bus, dann ist leer")
  • Wenn sie von irgendwo draußen reinkommt, wird grundsätzlich die Kleidung gewechselt
  • Wenn ich zum Arzt gehe, muss ich meine Sachen danach wechseln
  • Wenn etwas in der Wohnung auf den Boden gefallen ist, ist es Müll, dreckig oder muss gewaschen werden
  • Wenn ein Geschirr-Handtuch nicht berührend nach dem Plastikmülleimer hängt, ist es dreckig und unbenutzbar (weil die Keime vom Müll rüberspringen)
  • Nach meiner Coronainfektion wurde das ganze Zimmer desinifiziert
  • Wenn wir in Hotels schlafen oder bei Freunden/Familie sind, wird grundsätzlich alles nochmal desinifiziert und es werden eigene Handtücher genutzt/mitgebracht
  • Wenn Briefe oder Pakete angenommen (angefasst) werden, muss unbedingt sofort Händewaschen sein, auch wenn das 5 Minuten vorher gerade der Fall war
  • Jacken/Mäntel, die draußen getragen wurden, gehören nicht ins Schlafzimmer, weil die Keime durch das Zimmer fliegen
Da könnte ich sicherlich noch weitere Beispiele bringen, aber ich denke das Spektrum wird damit relativ deutlich.

Ich persönlich finde es ziemlich anstrengend und oft auch sehr übertrieben; was natürlich zu Konflikten führt. Natürlich gehört es für mich dazu Lebensmittel abzuwaschen, Hände nach dem Heimkehren von draußen oder nach dem ich den Müll zusammengepackt und runtergebracht habe zu waschen. Klar. Aber gerade die o.g. Liste sind Beispiele, die mich durch ihre ständige Präsenz langsam mürbe machen. Daher wende ich mich mal an euch. Es kann ja auch gut sein, dass das alles sinnvoll ist und ich einfach nur eine falsche Vorstellung von Hygiene habe.

Ich freue mich auf euer Feedback. Danke!

Liebe Grüße
Ein besorgter Partner :-)
Jessi
Beiträge: 284
Registriert: Fr 22. Mai 2020, 19:55

Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von Jessi »

Hey!

Die Beispiele, die du anbringst erwecken schon deutlich den Verdacht einer Zwangsstörung.
Ich selbst habe keinen Waschzwang oder irgendwie mit dieser Thematik zu tun, allerdings klingt es ziemlich stark nach klassischen Zwangshandlungen. Auf jeden Fall ist eine irrationale Sorge erkennbar, so wie du zb beschreibst, dass die Keime rüberfliegen könnten.

Dennoch muss ein Leidensdruck der Betroffenen vorhanden sein um von einem Zwang zu sprechen. In der Regel haben Betroffene aber ein gutes Gerüst und sich herum aufgebaut mit jeglichen Ausreden um sich nicht outen zu müssen.
Vielleicht möchte deine Partnerin noch nicht offen darüber sprechen?!
Ich würde dir raten eventuell einmal in einer ruhigen Minute das Gespräch zu suchen, ohne Anschuldigungen, einfach nur deine Besorgnis äußern und vorsichtig nachhaken wie sie sich denn dabei fühlt. Wie du ja schon beschreibst fährt sie sichtlich ungern Bus und Bahn. Es ist wichtig, dass sie sich nicht eingeengt, vorgeführt oder beschuldigt fühlt. Da du aber hier nach Hilfe suchst gehe ich davon aus dass du auch tolerant dem Thema gegenüber stehst und ihr helfen möchtest.
Im Endeffekt muss die Einsicht da sein und der Wille etwas zu ändern und jeglicher Druck ist kontraproduktiv.

Ich hoffe damit etwas helfen zu können. :)

LG Jessi
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SHG
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Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von SHG »

Jessi hat eh schon sehr gut geantwortet.

Ich ergänze noch, wobei ich vielleicht etwas strenger - manchmal ev. auch zu fordernd bin.
Ich würde mich auch über Zwanghafte Persönlichkeitsstörung informieren. Ich rate dir auch, deine eigenen (bzw. allgemein gültige) Hygienestandards wenn möglich einzuhalten und weniger das Übertriebene mitmachen, wenn es dir unvernünftig erscheint. Ev. wären auch mal Kompromisse möglich. Für mich liest es sich schon auch eher übertrieben und schon sehr fordernd, das alles strikt einzuhalten. Es könnte sich nat. etwas relativieren, wenn das jetzt hauptsächlich wegen der Pandemie ist und zeitlich begrenzt ist bzw., wenn sie oder Angehörige einer Risikogruppe angehören.
Und ähnlich, wie Jessi schreibt, weniger darauf konzentrieren, sie davon abzuhalten sondern eher, wie du selbst damit zurecht kommst.
PetraPetra
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Registriert: Mi 22. Jun 2022, 01:27

Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von PetraPetra »

Hallo besorgter Partner.

als ich deinen Betrag so las, könnte man meinen mein Mann hat diesen Beitrag verfasst und abgesendet. Nur mit dem einzigen Unterschied, dass er schreiben müsste, meine Frau (also Ich) sieht, dass diese aufgezählten Verhaltensmuster nicht der Norm entsprechen. Wo wir nun bei mir sind!!!

Deine Aufzählungen entsprechen 1 zu 1 meiner Zwänge. Außer das ich nicht alle Lebensmittel vor dem Wegpacken desinfiziere. Alle Produkte die ich später in eine Schüssel oder Topf umschütte dürfen gerne so in den Kühlschrank/Schrank. Alleine das ist schon komisch und keine Logik dahinter, aber genau so ist es.

Wie lange macht deine Partnerin dass schon in diesem Umfang? Erst seit Corona?

Alles was Jessi dir geraten/geschrieben hat kann ich nur unterstreichen, darum werde ich es hier nicht wiederholen. Wichtig ist, sie nicht unter Druck setzten. Denn das machte mich nur wütend und setzte mich wiederum nur unter Druck! Denn ich wusste auch zu der Zeit als ich es noch nicht ausgesprochen habe, dass es nicht NORMAL (eigentlich mag ich dieses Wort nicht) ist was ich da mache. Wichtig ist mir jetzt, dass meine Familie meinen Zwänge nicht unterstützt. Vor zwei oder drei Jahren machte mich das noch sehr wütend. Weil es mich unter stress versetzte wenn sie nicht nach meinem Chema vorgingen.
Darum würde ich dir raten, behalte deine Verhaltensweisen aufrecht, denn soweit ich dass aus der Ferne beurteilen kann, ist dein Hygienestandart in der Norm!

Wichtig ist nun, dass du ihr weiter zur Seite stehst und ihr das Thema nicht ignoriert. Denn desto eher eine Gegensteuerung stattfindet desto einfacher ist diese Erkrankung zu besiegen/einzudämmen, wenn man den Statistiken glauben schenkt. :roll:

Zu gerne würde ich mit deiner Partnerin in den Austausch gehen. Ich habe gerade das Gefühl, sie ist wie ich. Bisher habe ich kaum einen Menschen getroffen der exakt die selben Zwänge hat..... :roll:

Liebe Grüße und viel Erfolg wünscht dir Petra
BesorgterPartner
Beiträge: 2
Registriert: Di 19. Jul 2022, 10:48

Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von BesorgterPartner »

Hi liebe Lesenden und Hi liebe Antwortenden :-).

ich habe meinen Beitrag und eure Antworten auch noch mal einer befreundeten Psychologin gezeigt. Da kam noch ein interessanter Aspekt hinzu, der explizit das Thema adressiert, dass ein Zwang ja damit einher geht, dass die betroffene Person sich von dem Zwang auch eingeschränkt fühlt. Ist das nicht so, ist ein wichtiger Faktor nicht erfüllt und dann geht das Ganze eher in eine "überwertige Idee" gehen kann. Quasi als Vorstufe zum Wahn, wobei letzterer hier sicherlich nicht gegeben ist – so schlimm ist es zum Glück nicht.

Sei vielleicht noch erwähnt, dass mit Corona alles nochmal etwas schlimmer geworden ist und jetzt, wo sich die Lage zumindest etwas beruhigt (Corona ist nicht vorbei!), geht das verhalten auch etwas zurück (also Besteck wird nicht mehr ständig im Restaurant desinifiziert, Hände aber immer noch x-mal; Kleidung muss gewaschen werden, wenn sie irgendwie "alt" ist). Auch geht das Ganze bei meiner Partnerin damit einher, dass sie u.a.
  • oft ihren Kleiderschrank neu"organisiert"
  • das alles mögliche in Plastiktüten gepackt wird (wegen Hygiene!). Z.B. jeder einzelne BH.
  • Angst vor vielen vielen Dingen hat
Soweit aber danke für eure Einschätzungen. Das hilft mir zumindest einzuschätzen, dass meine Wahrnehmung nicht zu krass abweicht.

Beste Grüße!
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michael_m
Beiträge: 604
Registriert: Di 17. Apr 2018, 20:01

Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von michael_m »

Es gab hier ja schon gute Antworten. Ich bin selbst Betroffener, also kein Psychiater/Therapeut. Hab mich aber doch auch viel belesen was das Thema Zwang angeht.

Wie hier schon geschrieben wurde: ohne eigenen Leidensdruck spricht man nicht von einer Zwangsstörung. Ich kenne es dann auch unter zwanghafter Persönlichkeitsstörung. Beides kann übrigens auch kombiniert auftreten, wie in meinem Fall.

Die Diagnose alleine löst aber natürlich das Problem nicht. Noch dazu, wenn die Einsicht bei der betroffenen Person fehlt. Aber dazu gabs oben ja auch schon ein paar Anregungen.
TeeCoffee
Beiträge: 77
Registriert: Di 12. Jul 2022, 01:56

Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von TeeCoffee »

Hallo BesorgterPartner,

Vorab: ich bin keine Fachperson, sondern Betroffener mit Waschzwang. Was normale Hygiene ist, können Dir nur Leute ohne Waschzwang sagen, die meisten gesunden Leute wissen es....

Für mich klingen Deine Beschreibungen sehr typisch nach Wasch- und Kontaminationszwang. Obwohl oft gesagt wird, diese Zwänge seien mit am leichtesten zu behandeln, weil sie so konkret und klar sind, denke ich die besondere Tücke ist, dass gewisse Aspekte davon wahr sind: Es gibt gefährliche, unsichtbare Keime, manche werden durch Kontakt übertragen, und bestimmte Hygienemassnahmen und manchmal auch Desinfektion - sind sinnvoll. Beim Waschzwang wird halt die Grenze von "vernünftigem Aufwand" überschritten und Risiken werden überschätzt oder man versucht auf absolut Null Risiko zu gehen. Diese Unsicherheit wann Waschen etc angemessen ist und wann nicht finde ich auch extrem schweirig und man kann schlecht für jede Situation einen Katalog erstellen, und Corona ist natürlich ein absoluter Alptraum, weil z.T. Massnahmen verordnet wurden, die unter nicht-Pandemie-Bedingungen klar als zwanghaft gelten.

Ich finde auch typisch, dass deine Freundin Angst hat, denn bei solchen Waschzwaengen ist halt oft die Befürchtung im Spiel, dass am Ende man selbst oder andere eine schreckliche Krankheit kriegen koennten.
Am merkwürdigsten finde ich, dass du meinst deine Freundin findet es nicht einschränkend oder belastend. Bist du sicher dass sie echt nicht findet sie verbruacht zu viel Zeit, alles ist umstaendlich und muehsam etc? Oder will sie halt nicht zugeben dass es schlimm ist....das ist ein wichtiger Unterschied.
Das mit der Einsicht ist eine wichtige und finde ich sehr schwierige Frage und das ist wichtig am besten einen Arzt zu fragen, der viele Zwangspatienten gehabt hat. Du schreibst, die Partnerin findet ihr Verhalten völlig normal und alle anderen sind komisch. Ist das wirklich so? Bei mir ist es so, dass ich oft Angst habe, es könnte ja doch vielleicht irgendwas passieren und daher sei es besser, wenn ich wasche. Ich finde es also nicht 100% sinnlos und habe Zweifel ob es nötig ist; und ich sehe dass alle anderen es anders machen und die meisten nicht ernsthaft krank werden. Daher ist mir letztlich klar, dass ich unrecht habe, aber im Einzelfall finde ich es sehr schwer mich zu lösen.
Wie du sagst ist fuer Zwangsdiagnose ein Minimum an Einsicht nötig. Sonst wird es eben eine Zwangsstörung mit geringer Einsicht, danach eine überwertige Idee, und dann käme Wahn. Diese Differenzierung ist wichtig, und unqualifizierte Ärzte könnten das verwechseln.
Folgende Hinweise, um mehr zu Erfahren:
- schau formale Kriterien an: ICD-10, DSM-5 googeln
- schau nach wikipedia - Zwangsstörung - Differentialdiagnose --> das gibt Aufschlüsse ueber aenhliche Themen und Unterscheidung
- schau die Bgriffe "ich-dyston" -> zwangsstörung und "ich-synton" --> zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Bezüglich deines Verhaltens: Wenn du mitmachst, unterhälst/verstärkst du es. Manchmal sind aber Kompromisse der einzige Weg, es für alle erträglich zu machen, und ein "kalter Entzug", bei dem der Angehörige einfach nicht mehr mitmacht, kann zu extremsten Spannungen und Problemen führen und ist deshalb auch nicht unbedingt realistisch oder vlt sogar gefährlich (meine Meinung). Wenn deine Partnerin das Problem einsieht und es bewaeltigen will, dann wird man versuchen, dass der Angehörige immer weniger und letztlich gar nicht mitmacht - aber es setzt Einsicht und Bereitschaft voraus.

Wie alle sagten, es ist wichtig, die Partnerin nicht in die Ecke zu drängen oder zu stigmatisieren. Zu akzeptieren, dass man psychisch krank ist und zu einem Psychiater geht, ist sehr schwer und schmerzhaft. Aber vielleicht kann man behutsam zeigen, wie es ihr und dein Leben einschränkt.
Ich wünsche Alle Gute!

Gruss
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SHG
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Registriert: Do 5. Dez 2019, 19:40
Wohnort: Linz

Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von SHG »

Hinweis am Rande: meines Wissens gibt es in der Regel keinen Zusammenhang zwischen Zwangserkrankung und Wahn/Psychose. Die Zwangserkrankung ist keine Vorstufe und lange chronische Verläufe gehen auch normalerweise nicht in eine Psychose über. Diagnosen stellen wir hier im Forum natürlich keine und es kann schon sein, dass es mal Fälle gibt, bei denen es nicht ganz leicht sein kann, die Diagnosen voneinander zu unterscheiden.

Wenn es neue (wissenschaftliche) Erkenntnisse zum Zus.hang zw. Zwang u Psychose gibt, würde mich das interessieren - vielleicht könnte sich ein/e spezialisierte PsychiaterIn / Psychologin/e dazu äußern.
TeeCoffee
Beiträge: 77
Registriert: Di 12. Jul 2022, 01:56

Re: Schon eine Zwangsstörung oder noch "normal"

Beitrag von TeeCoffee »

@SHG: auch mit meinem Laienwissen stimme ich zu - kein Zusammenhang zwischen Wahn/Psychose/Zwang. So war es nicht gemeint. Auch nichts von Vorstufe. Ich habe mich da falsch ausgedrückt bzw. keine Ahnung. Fachperson willkommen.
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