Aus meiner VT-Stunde

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Yorge
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Aus meiner VT-Stunde

Beitrag von Yorge »

Ich denke mir es könnte für mich und andere was bringen, wenn ich aus der Verhaltens-Therapiestunde, was mir besonders hilfreich erscheint, notiere und eigene Ansichten/Vermutungen ergänze :idea:

Ich darf glücklich sein. Zwangspatienten dürften dazu neigen gleich mal ein schlechtes Gewissen zu bekommen, wenn es ihnen mal richtig gut geht.

Wenn ich bei einer Expositionsübung etwas absichtlich mit was mir als zu gefährlich erscheinendem kontaminiere, kann ich das Gefühl bekommen, dass ich jetzt absichtlich mir oder anderen einen Schaden zufügen möchte. Das mache aber nur ich (bzw. mein Zwang) daraus. Um das, dass jemandem geschadet werden sollte, geht es bestimmt nicht. Es geht darum, dass damit meine Erkrankung behandelt wird.
(Für die, die was Konkreteres lesen wollen UND NUR LESEN, WENN MAN KEINE SORGEN HAT BEIM LESEN SICH NEUE ZWANGSIDEEN EINZUFANGEN
:?
Ich habe die Angst, dass ich mit Toxoplasmose-Keimen, welche im Katzenkot ausgeschieden werden, Schwangere bzw. in Folge deren Ungeborenes kontaminieren bzw. eine Infektion verursachen könnte. In der Übung geht es darum nach der Gartenarbeit im Lift, eines Hauses in dem ich weiß, dass eine Schwangere wohnt alle Tasten.. zu berühren - natürlich ohne vorheriges Dekontaminieren von Hände, Kleidung...)

Dazu passt auch etwas, was ich im "ABC für Zwangserkrankte" von Ulrike S. so oder ähnlich gelesen habe:
“Man ist nicht verantwortungslos, weil man dem Zwang nicht nachgibt. Im Gegenteil, das Nicht-Nachgeben ist wie eine gute Tat.“

Die Verantwortung für das, was ich tue, muss bei den Expositionsübungen letztendlich ich übernehmen. Wenn ich mir nur ganz konkrete Anweisungen vom Therapeuten (oder Angehörigen, Übungspartner...) geben lasse und diese pflichtbewusst befolge und mir denke “Wenn was passiert, bin ich nicht Schuld, ich tue ja nur, was sie/er mir sagte und damit ist die/der andere schuldig“ und ich damit womöglich gar keine Anspannung mehr verspüre und das ganze somit für mich zum “Kinderspiel“ wird, dann ist das nicht Sinn der Sache. Dann übe ich vielleicht Verantwortung abzugeben (was schon auch im Leben mal Sinn machen kann), aber der Zwang wird nicht weniger. Es sei denn, das ist die Vorstufe dafür, dass ich danach das ganze auch alleine mache - das ist dann die eigentliche Übung und wird sich damit auch etwas fordernder anfühlen. (Danke v.a. an Irena u. Miranda deren Postings mir das klarer machten)

Fortsetzung folgt (wahrscheinlich) (von mir oder gerne auch von anderen)...
Zuletzt geändert von Yorge am Sa 4. Aug 2018, 22:19, insgesamt 4-mal geändert.
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Yorge
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wohlwollendes Üben

Beitrag von Yorge »

Ich glaube es war Antonia, die in etwa geschrieben hat, dass wir dazu neigen recht streng zueinander zu sein und so komme ich mir auch vor, wenn ich das lese, was ich übers Alleine-Üben geschrieben habe. Es hat mir schon auch geholfen, mit etwas fordernder Strenge zum Konfrontieren motiviert zu werden - vielleicht entspricht das auch der Sprache, die ich mir (zu) oft selbst zumute und gerade deshalb bewirkt sie etwas bei mir (zum Beispiel sagte mir eine Kotherapeutin, als ich sagte ich hätte Angst v.a. den Kindern mit Krebserregendem/Infektiösem Schaden zuzufügen, dass die Kinder bestimmt ganz was anders von mir brauchen; und auch als ich meinte es würde mir Freude machen, anderen Zwänglern zu helfen, ob ich nicht dann mal beginnen möchte mich selbst mit diesem od. jenem zu konfrontieren). Trotzdem ist eine wohlwollende Haltung sich selbst gegenüber unverzichtbar. Dazu gehört auch sich die nötige Energie für die harte Konfrontationsarbeit zu Verfügung zu stellen. Gesund-werden geht nicht so nebenbei. Die Energie spart man später durchs weniger Zwängeln vielfach wieder ein. (Noch ein Tipp zum Energie-Einsparen: Sich selbst (oder auch andere) ständig niedermachen oder anzweifeln ist auch ziemlich anstrengend und es ist ein Irrglaube, dass das einen wirklich weiterbringt)
Und ganz wichtig ist sich selbst zu belohnen wenn man erfolgreich war! Die anderen können das nicht nachvollziehen, wie schwer es für mich ist eine alltägliche Handlung wieder einzuüben (Ich konnte bis kürzlich nur sehr umständlich tanken, weil ich kein “kontaminiertes“ Wechselgeld od. Bankomat-Tasten dort berühren wollte/konnte - jetzt kaufe ich mir ein leckeres Eis an der Tankstelle und natürlich wird die auspapierlte Tüte fest angegriffen mit den “gefährlichen“ Händen vorm Verspeisen) Zur Eis-Geschichte kann ich noch eine Erfahrung teilen: Anfangs war es nicht wirklich ein Genuss, weil das Schmecken überschattet war von der Anspannung - das wird aber jetzt mit der Zeit besser.
Was mir auch das Üben erleichtert ist, davor etwas zu tun, was meinen allgemeinen Stresslevel senkt z.B. Joggen - da kann es sein, dass ich mich zuvor davor drücke und danach mache ich es einfach. (Was ich beim/vor/nach Üben nicht mache, ist Alkohol zu trinken- das würde wsl. auch beruhigen, aber ich finde das ist die unkreative und eher unsinnige Variante).
Gut ist auch im Zweifel eher was riskant erscheinendes zu tun, als sich zu denken “wenn ich zweifle, dann könnte es zu gefährlich sein, da gehe ich lieber auf Nr. sicher“. Und eher das tun, was die anderen von mir geschätzten Mitmenschen normalerweise auch tun (würden).
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Yorge
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Go for it

Beitrag von Yorge »

Meine Therapeutin kam zu mir, um zwei Stunden vor Ort mich zu begleiten, während ich mich mit lange von mir Vermiedenem konfrontierte. Es war ein großartiges Erlebnis. Alles mögliche wurde durcheinander angegriffen: Kochplatte, Tisch, Wiese (auf der wir picknickten), Autotür, Türgriffe, Lifttasten, Mülltonnen.. Sie ließ mich entscheiden was ich angehen will - ermutigte mich weniger zu zögern, also spontaner mein gewähltes Ziel anzugehen, schon auch etwas schneller zu machen, aber auch nicht zu hetzen um es vorbei und schnell erledigt zu haben, sondern auch das was ich tue mit ausreichender Achtsamkeit, bewusst und intensiv zu machen. Sie ermutigte mich auch standhaft dabei zu bleiben, dass wenn man Normales macht, keine Gefahr von einem ausgeht. Wenn ich etwa im Garten, der halt mal nicht ganz sauber ist und in dem eben alles nicht so genau hergeht, was tue und ich mir dann die Hände nicht wasche, kann ich dann trotzdem unbedacht alles angreifen. Es ist ein Garten zum Entspannen - nichts anderes keine Gefahren/Schutzzone, kein Labor. Auch wieß sie mich darauf hin sprachlich korrekt zu sein und meine Hände nicht als “kontaminiert“ zu bezeichnen, wenn ich das nicht wusste, weil ja nicht nachgewiesen- mit denen habe ich Gras, Erde angegriffen und sie sind vielleicht schmutzig, aber eine Kontamination mit bestimmten Keimen oder sonstigen Toxinen kann man höchstens vermuten und ich wsl. viel zu oft gleich mal annehmen bzw. befürchten.
Es fühlte sich wirklich ähnlich wie ein unbeschwertes Kind-sein an - nur dass die Verantwortung bei einem selber bleibt und einem auch nichts aufgezwungen wird -darauf waren wir auch sehr bedacht.
Eine Konfrontation war, einen bestimmten öffentlichen Türgriff mit meinen ungewaschenen Händen anzugreifen. Ich sagte von Anfang an, dass ich das evtl. diesmal nicht mache- sie sagte, sie zwingt mich natürlich nicht, aber gut wär's schon, weil es ja doch zu meinen Zielen gehört.. Ich wollte es dann schon machen, aber mich nicht überfordern und auch nicht überreden lassen. Ich sagte ihr, sie soll bitte den Griff angreifen. Sie willigte ein - und dann am Weg zur Tür beschloss ich, dass wir uns zuvor noch die Hände geben. Was wir dann auch taten und als sie dann eine Zeit lang den Türgriff überall angriff, tat ich auch mit- weil das war ja dann wirklich schon egal.
Aber auch sie wollte sich zu einem späteren Zeitpunkt die Hände waschen, nachdem sie beim eifrigen Vorzeigen aus Versehen in Vogelkot gegriffen hatte - ohne Seife und das musste auch nicht gleich sein. Meine Konfrontationsvorschläge führten uns auch zu einer nahen Kirche (nicht wg. Religion..). Ich sagte, es würde mich fordern dort ins Weihwasser an den Eingängen zu greifen. Sie lehnte es spontan ab, also sie für sich, da hineinzugreifen. Da gabs auch keine Diskussion- war damit erledigt. Fand ich beeindruckend und auch etwas lustig.
Zum Schluss der Doppelstunde habe ich vorgeschlagen, dass sie sich einfach noch in meiner Nähe hinsetzt und ich ein Weilchen selbständig weitermache .. jetzt ist sie wieder weg, aber die Erinnerung an das unbeschwerte Sein sehr präsent und das selbständige Weitermachen wird von mir andauernd immer wieder verwirklicht.
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michael_m
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Re: Aus meiner VT-Stunde

Beitrag von michael_m »

Hey Yorge!

Vielen Dank für diesen Beitrag! :)

Ich verknüpfte Exposition immer mit großer Angst und Furcht.
Ich denke zwar, dass auch diese Gefühle bei dir während der Übungen aufkamen. Was mich aber motiviert ist, dass sich deine Grundstimmung sehr positiv anhört.

Demnächst fangen wir auch mit Expo an. Zunächst "in sensu" - d. h. "nur" in Gedanken. Danach werden wir auch "in vivo" - also "in echt" - machen.
Mein Therapeut hat hier schon viele Ideen, wie wir das genau durchführen können. ;)

Ich bin für die Expo bereit - aber ich habe doch auch einen ordentlichen Respekt davor. Vor allem, wenn "in vivo" anstehen wird.
Umso erfreulicher ist es, dass ich den positiven Bericht von dir lesen konnte.

Grüße und einen schönen Restsonntag

Michael
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Yorge
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Mut zur Ehrlichkeit

Beitrag von Yorge »

Ja, warum schreibe ich eigentlich (v.a. unbewusst) nicht über die Angst beim Üben. Es liegt schon auch daran, dass ich meine Schwächen ungern zeige. Da präsentiere ich lieber gut gelaunt, was mir gelungen ist und nicht das, was bei mir noch ansteht und worüber ich mich noch nicht traue. Und auch nicht, dass auch ich oft einfach gerade nicht die Energie, den Mut und die Überwindung aufbringen kann, das zu tun/unterlassen was verstandsmäßig richtig wäre, aber momentan zu ungewohnt und zu beängstigend ist.
Ich merke gerade, dass ich hiermit etwas anwende, was sich für mich in letzter Zeit gut bewährt hat: Ich präsentiere meine Schwäche und durch diese Offenheit fühle ich mich gleich stärker.
Was mir aber schon auch auffällt ist, dass ich direkt beim Üben gar nicht so ein ungutes Gefühl habe. Mich stressen mehr vorher die Zweifel, ob ich was machen soll oder nicht oder noch nicht oder schon oder vielleicht gerade, weil ich zweifle trotzdem oder wird's dann später noch schwieriger oder übertreibe ich jetzt schon... (die schlaue Therapeutin hat dafür nat. einen Fachausdruck :roll: : Erwartungsangst). Und: mir fällt das, wobei ich alleine bin viel schwerer, als wenn ich im Kontakt mit wohlwollenden Menschen bin..
.. darum auch vielen Dank fürs Lesen und ganz besonders für die anerkennende Rückmeldung - durch die Offenheit wird doch auch darin die vermeintliche Schwäche zur ansteckenden Stärke, die mich zum Weitermachen ermutigt.
Das gute Leben .. ist eine Richtung, kein Ziel. [Carl Rogers]
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